Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
Vom Netzwerk:
Barons Andlaw war allerdings nidits anderes zu erwarten“, sagte er. „Denn sie ist doch deine Nichte, Christian? Freilich hat keiner von euch drei Brüdern geheiratet, und Schwestern habt ihr auch nicht gehabt.“
    „Es gibt Verwandte zweiten und dritten Grades“, unterbrach ihn
    Andlaw unwillig, „und alte Freunde, die trotz guter Erziehung recht taktlos sein können, gibt es ebenfalls.“
    Talmann lachte nicht gerade leise.
    „Und es gibt gute Freunde, die einer väterlichen Erziehung noch als reichlich erwachsene Männer so erliegen, daß sie aus der Zimperlichkeit nie herauskommen. Christian, alter Freund, schließlich bist du doch ein Kavalier und kein Küster. Laß die Moral der Kanaille. Denk lieber an den vierzehnten Louis. Jede seiner Mätressen hatte eine höhere Bedeutung als die Königin, und seinen Bastards hätte er am liebsten das Recht der Thronfolge eingeräumt. Als Prinzen von Geblüt wurden sie dann später ja auch wirklich anerkannt, der Herzog von Maine, der Graf von Toulouse ... Du aber? Man braucht dich nur nach deiner Nichte zu fragen, und schon gebärdest du dich wie ein Backfisch, dem man in den Ausschnitt greift.“
    Er hielt inne. Aber nicht die Nichte kehrte zurück. Zwei Lakaien brachten eine Erfrischung, darunter guten Tokaier. Das war alles.
    Der Internuntius von Talmann war aus Konstantinopel zur Berichterstattung nach Wien gekommen, und auf seiner umfangreichen Besuchsliste hatte auch der Name des alten Freundes von Andlaw gestanden. Bei ihm, dessen Muckertum er doch so gut kannte, war er zu seiner Belustigung einer Nichte vorgestellt worden. Denn daß diese Nichte des Barons genauso eine Nichte sei wie die eines Kardinals - daran hatte er keinen Augenblick gezweifelt. Auch bei Kardinalsnichten pflegte sich der Stammbaum ebenso in einem wohltuenden Dunkel zu verlieren, wie es ihm hier der Fall zu sein schien. Die Frage, ob sie eine Geliebte oder eine uneheliche Tochter sei, lag zu nahe, als daß ein Mann wie Talmann sie nicht gestellt hätte. Sehr bald jedoch entschied er sich für eine Geliebte. Vor einem Vierteljahrhundert hatte nicht nur der Vater des Barons noch gelebt, sondern damals hatten die Grundsätze, in denen der Sohn erzogen worden war, noch völlig mit dessen Überzeugungen übereingestimmt. Bei dem guten Christian aus jener Zeit kavaliersmäßige Vergnügungen anzunehmen, sei völlig verfehlt, dachte Talmann, und möge es sie auch gegeben haben, so sei der Tugendbestrebte doch nicht der Mann, aus alten Sünden sittliche Dauerverpflichtungen für sich selbst abzuleiten. Nein - die Nichte sei keineswegs die Tochter, sondern die Geliebte, war Talmanns endgültige Meinung, sie sei eine Person weiblichen Geschlechts, über deren Vergangenheit Andlaw auch nidits Genaues wisse ... vielleicht eine Abenteurerin? Ebenso gut könne sie aber auch zum Kreis des Fürsten Rakoczy gehören, also eine Dame sein, die der Politik schon mal ein Opfer bringe, zumal der Baron aufreizend unverbraucht und gerade im richtigen Torschlußalter sei. Und Rakoczy? Wo habe dieser unversöhnlichste Feind der habsburgisdien Monarchie nicht seine Agenten? In Frankreich, Spanien, Polen, den Niederlanden, Schweden - das sei selbstverständlich und gehöre ganz oder beinahe in das Gebiet diplomatischer Beziehungen; aber auch in Dresden, Berlin, Hannover, München, Kassel. Warum nicht in Wien? Natürlich in Wien! Nur daß die Tätigkeit Rakoczyscher Emissäre dort etwas gefährlich und also ein Unterrock dafür noch am geeignetsten sei.
    Das waren Talmanns Gedanken gewesen, als er Andlaws Nichte nachgesonnen hatte, ob sie ,es‘ wohl sein könne. Und dazu hatte er eine ganz besondere Veranlassung.
    Der vornehmste von Talmanns Agenten und Spähern in Konstantinopel war - schwer zu glauben, aber tatsächlich - jener dänische Edelmann Bohn, der für die Türken Landkarten zeichnete und als Hofkavalier dem Fürsten Rakoczy verbunden war. Talmann machte insofern eine Ausnahme von andern Leuten seiner Art, als er sich den Mann, dem er es verdankte, der Hofburg über jeden Schritt Rakoczys berichten zu können, erhalten wollte. Immer von neuem beantragte er Tausende von Gulden für den Unentbehrlichen und setzte zuletzt sogar ein Obristenpatent für ihn durch, dessen sich Bohn nach einem erzwungenen Rückzug über die österreichische Grenze erfreuen sollte.
    Meistens berichtete Bohn über Tatsachen, über Erfolge und Mißerfolge des fürstlichen Hofes oder über Pläne, deren Urheber er selbst gewesen

Weitere Kostenlose Bücher