Der Eunuch
„ich erwarte noch einen Gast.“
„Entweder ist es eine sehr hohe oder eine ganz besondere Persönlichkeit, lieber Freund; über das Warten, dachte ich, seien Sie längst hinaus.“
Es war die Gräfin Batthany gewesen, die das gesagt hatte und sich das hatte erlauben dürfen. Von ihr war die Bemerkung um so unausbleiblicher gewesen, als die Zusammenstellung der Gäste ihr bereits Grund zur Verwunderung gegeben hatte. An Christian von Andlaw, Baron des Römischen Reiches, war ihrerseits freilich nidits ausgesetzt worden. Wenn er auch nicht gerade zum engeren Kreis des Hausherrn gehöre, so sei sein Ade] doch alt und vornehm. Als Tochter eines ursprünglich bürgerlichen Vaters hielt die Batthany mehr noch auf Familie als selbst eine Altadelige. Aber die beiden andern Anwesenden! Bei einem großen Fest hätte man über sie hinwegsehen können. Der Prinz habe nun einmal seine Schrullen und halte von Verstand, Phantasie und Wissen mehr als von Titeln. Unter Umständen gelte ein Leibniz ihm mehr als ein Prinz von Geblüt. Schließlich sei dieser Herr Claudius Verlet auch ein tüchtiger Offizier gewesen, Rittmeister im Dragonerregiment Prinz von Savoyen, jetzt Güterdirektor Seiner Hoheit in Ungarn. Eben Ungarn! Von dorther kenne man sich. Frau von Stuntz sei im wohltuenden Gegensatz zu Verlet sogar von Adel, wenn auch aus recht kleinem, und als ehemalige Gouvernante dem Gesinde bedenklich nahe. Auf dem Lande möge das alles hingehen, schicke sich aber nicht für Wien - jedenfalls sei es ihr, der Gräfin, unerklärlich, was die beiden in diesem allerengsten Kreis, gleichsam in einem Familienzirkel, zu suchen haben.
Der Batthany hochgräfliche Gedanken waren deswegen so in die Breite gegangen, weil sich inzwischen der Baron und der Prinz über das Wetter unterhalten und die beiden Anstößigen respektvoll geschwiegen hatten. Diese langweiligen Männer! Zwischen den Augen der Gräfin hatten sich zwei Falten vertieft. Zweifellos sei etwas geschehen, hatte sie gedacht, was ihr vom Prinzen vorenthalten worden sei - ein Zustand, den hinzunehmen sie nicht gewillt war. Ihre Wut gegen Eugen hatte sich von Minute zu Minute gesteigert, bis ihr der
Gedanke an die neueste Wiener Bosheit zur Genugtuung geworden war.
Des Prinzen isabellfarbenes Gespann, hatte man sich erzählt, habe jeden Abend den Weg von der Himmelpfortgasse zum Hause der Batthany auf der Freiung von selbst gefunden. Ab- und ausgestiegen aber sei niemand. Eugen, sein Kutscher, sein Heiduk und der Lakai haben mit ihrem gemeinsamen Alter von über dreihundertundzehn Jahren ruhig weitergeschlafen, bis es den Pferden an der Zeit geschienen sei, zurückzukehren.
Wohl war diese Geschichte eine Persiflage auf die Langweiligkeit der Batthanyschen Piquet-Gesellschaft, doch mehr nodi auf die Hinfälligkeit des alten Löwen gewesen, was der Gräfin augenblickliche Genugtuung erklärt hatte.
Mittlerweile war das Wettergespräch der beiden Herren bis zu den Krankheiten gediehen, was auch Frau von Stuntz und den Rittmeister alle Hürden hatte nehmen lassen. Fortan hatten zwei Damen und drei Männer einander zu den schönsten Krankheiten eingeladen oder sie gehabt zu haben behauptet, nur um die verwegensten Kuren vorschlagen zu können. Der Batthany Zurückhaltung war keineswegs darauf zurückzuführen gewesen, daß sie nicht auch in solchen Gesprächen zu glänzen vermocht hätte; aber sie war erbittert, weil Monseigneur noch immer nicht geruht hatte, ihre Teilnahmslosigkeit zu bemerken. Im Grunde hatte nur die Angst vor dem Unvermeidlichen ihn sich in diese Gespräche stürzen zu lassen. Und schließlich war er auch so abgelenkt gewesen, daß es ihn überrascht hatte, die Tür zum Vorsaal mit beiden Flügeln sich öffnen zu sehen. Der erwartete Gast war gekommen.
„Die ehrwürdige Mutter Theodota“, hatte der Haushofmeister gemeldet, „Kanonissin vom Kloster der Panagia am Fanar.“
Er war begabt, dieser Haushofmeister. Nicht jeder hätte die fremden Laute so glatt herausbekommen.
Dann aber war sie selbst da - vor der Tür, die sich feierlich hinter ihr geschlossen hatte. Eine Klosterfrau im weißen Schleier, der ihr vom Kopf geflossen war. Auf dem ebenfalls weißen Kleid das eingestickte violette doppelbalkige Kreuz und darüber der blaue Mantel. In der Tracht der Kanonissinnen ihres Klosters hatte sie dagestanden.
Mit der nie versagenden Höflichkeit des Kavaliers war der Prinz aufgestanden, und für die Zeit eines Atemzuges hatte Schweigen geherrscht, bis ein
Weitere Kostenlose Bücher