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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Nächstberechtigten zum Thron, bei Sultan Osman, die Dinge ebenso liegen. Und da Osman nur wenige Monate später als der Kaiser geboren wurde, also kaum jünger ist...“
    Mit der Erwähnung Osmans löste sich Aigisches Verbissenheit. „Begreifen Sie das alles, Beschir?“ fragte sie. „Wenn Osman nicht wäre, müßte ich denken, es liege an mir. Aber wie Sie selbst sagen, verhält es sich mit Sultan Osman ebenso, und Osman ist nicht mein Sohn.“
    Mit diesen Worten begab sich Aigische - ohne es offen auszusprechen
    - wieder in den bewährten Schutz ihres alten Freundes. Der aber war auf seiner Hut. Mit irgendeiner Überraschung werde die hohe Frau wohl aufwarten, war seine Meinung, und es war ihm daher nicht zu verdenken, daß er sich vorerst einmal in die Sachlichkeit flüchtete.
    „Euer Hoheit Gemahl, Mustafa II., hatte acht Söhne, darunter Seine Majestät und Sultan Osman, sowie sechs Töchter, also insgesamt vierzehn Kinder. Dessen Bruder Ahmed brachte es auf achtzehn Söhne und zwanzig Töchter, insgesamt auf achtunddreißig Nachkommen, wobei ein Ende noch nicht abzusehen ist. Nach Erschöpfung osmanischer Lendenkräfte sieht das alles nicht aus.“
    „Um so beschämender ..."
    „Und gerade deswegen ist Überlegung nötig, was geschehen muß, um den Zustand, der meiner allerhöchsten Gebieterin Kummer bereitet, zu wenden. Euer Hoheit können mir befehlen, mich auf der ganzen Welt nach erreichbaren, schönen, begabten und anziehenden Mädchen umzusehen, die vielleicht geeignet wären, bei der Majestät Gefühle zu erwecken, die bis jetzt beharrlich schliefen. Keine Geldmittel, die der kaiserlichen Erweckung dienen, sind zu hoch, daß der Chasinedar sie nicht zur Verfügung stellen müßte. Verspricht das aber Erfolg? Fehlt es dem kaiserlichen Serail an Damen, wie ich sie untertänigst beschrieb? Ich habe darüber nachgedacht und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß es nicht die Damen sind, denen sich die Majestät verschließt, sondern dieser ganze, große Apparat des großherrlichen Harems, der ihm diese Damen darbietet. Es ist der Apparat, kaiserliche Hoheit, der seine Lendenkräfte lähmt. Majestät sieht nur Register, Rechnungsbücher, Hofchargen, das Zeremonial, das Vorausbedachte, Vorgeschriebene, in Regeln Gezwängte bei jedem Mädchen, für das er sich zu entscheiden geruhen würde. Statt einer Frau hätte er einen Apparat im Bett. Was seine erlauchten Vorgänger anreizte und anreizt, macht Hochdero erhabenen Sohn unvermögend.“
    Was Beschir erwartet hatte, eine nicht ganz gnädige Entgegnung der ohnehin oppositionell gestimmten Walide, blieb aus, und das betrachtete Beschir als eine zweite Warnung. Aigische Sultana hatte jedoch wirklich eine reine Freude an Beschirs klarer Folgerichtigkeit, mit der er ein Problem enthüllte, das kein anderer außer ihm angefaßt hätte, schon deswegen nicht, weil kein anderer die Souveränität hatte, es zu übersehen. Aber trotz allen Wohlwollens bereitete sie unbeirrbar ihren Überfall vor, wobei sie nicht ohne Wollust empfand, einmal die Stärkere zu sein.
    „Sie glauben also ohne Einfluß auf ein Ereignis zu sein“, fragte sie, „das wir so sehnlich wünschen?“
    „Würde ich warten, Hoheit?“
    „Nein, das würden Sie nicht“, sagte sie mit großer Wärme. „Ich weiß es. Aber sonst - sehen Sie keine Möglichkeit?“
    „Möglich ist alles“, meinte Beschir. „Die Begegnung, die wir wünschen, entzieht sich jedoch unserem äußeren Einfluß, mehr noch, sie würde durch jede menschliche Dazwischenkunft zur Wirkung eines ,Apparates' und dadurch völlig entwertet.“
    „Mit andern Worten: ein Zufall?“
    „Gewiß. Kaiserliche Hoheit können sich denken, daß ich dem Zufall nicht gewogen sein kann. Wenn aber ohne Erfolg alles geschehen ist, was getan werden konnte, bleibt er die einzige Hoffnung. Glauben ohne Wissen, Hoffnung ohne Gewißheit.“
    „Wahrscheinlichkeit ist mehr als Hoffnung.“
    „Sie ist mehr ...", sagte Beschir und erschrak. „Aber an eine Wahrscheinlichkeit oder auch nur an eine begründete Vermutung glaube ich nidit.“ Er raffte sich wieder auf. „Enttäuschte Hoffnungen sind schwerer zu ertragen als gar keine. Wir kennen unsern Padischah — Hoheit natürlich weit besser als ich aber daraus können wir keine Schlüsse ziehen. Wir wissen nidit, ob die Frau, die imstande wäre, ihn zu befreien, hell oder dunkel, häßlich oder schön, klug oder einfachen Denkens ist, und ob es sie überhaupt auf dieser Welt gibt. Wenn sie sich

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