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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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nicht bereit, sich seinen Anteil an den Vergnügungen dieser Stadt schmälern zu lassen. Wenn nur nicht das Porträt gewesen wäre. Die Ähnlichkeit von Bohns Gedächtnisskizze mit der Nichte des Barons war nicht entscheidend, aber im Ungefähren doch so sehr vorhanden, um die Möglichkeit, ja vielleicht sogar Wahrscheinlichkeit zuzulassen, in der Nichte die Maurocordato gefunden zu haben.
    Diese Meinung verdichtete sich in Talmann, als er beim Verlassen des Hauses noch von der Treppe aus die Dame eine Karosse besteigen und davonfahren sah.
    Das Ziel der Fahrt zu erkunden, fiel nicht schwer. Offenbar war es kein Geheimnis. Die gnädige Baronesse, hieß es, sei zur Hoheit des Prinzen von Savoyen in die Himmelpfortgasse gefahren.
    Das entschied! Zum Prinzen? In die Himmelpfortgasse? Dagegen konnten selbst die wohlverdienten Freuden eines amtlichen Wiener Aufenthalts nicht aufkommen. Talmann sah ein, daß in dieser Sache ein Dank des Vaterlandes zu verdienen sei.    
    Wenn Talmanns Gedanken auch an der Wahrheit vorbeigingen, so war ihnen eine gewisse Folgerichtigkeit nicht abzusprechen. Die Wahrheit jedoch unterschied sich von Talmanns Vermutungen recht wesentlich.
    Der Brief des hochwürdigsten Bischofs von Belgrad hatte nicht verfehlt, auf Seine Hoheit den Prinzen einen Eindruck zu machen, als sei er von einem Geschoß erreicht worden - nur daß ein Geschoß aus Blei im Falle des Überlebens keine so nachhaltigen Folgen hinterlassen hätte wie der Brief. Die Erklärung war sehr einfach: Die Zeit und alles, was dem kleinen, dürren und kränklichen Körper noch als letzte Leistung abgenötigt worden war, hatten den Kriegsgott verbraucht. Geblieben war der große Name und die Anbetung der Truppen, die sich bereits Sieger glaubten, wenn Eugen sich unter ihnen zeigte. Geblieben war — wenn auch im Schwinden - der Nimbus des Staatsmannes und in jedem Fall eine Ehrfurcht, die etwas Vergangenem galt. Das Bedenklichste war, daß seine Feinde - und er hatte deren genug — ihn weniger zu hassen begannen. Der Eugen zur Zeit von Juliennes Verschwinden war ein anderer als der ihrer Wiederkehr.
    Er brauchte Ruhe. Sein Bequemlichkeitsdrang war zu einer Alterssucht geworden. Hatte ihm der Gedanke, ein junges Mädchen mit Lebensansprüchen um sich haben zu sollen, vor dem Unbehagen be-reitet, so empfand er jetzt Angst davor, die verpflichtende Vergangenheit mit Julienne noch einmal erleben zu müssen, weniger die Verwandtenpflicht gegenüber der Tochter seiner Schwester, desto mehr aber die Pflicht dem Verstorbenen gegenüber, der ihm das Leben gerettet hatte. Und der war Juliennes Vater gewesen.
    In den ersten Tagen nach Empfang des Briefes war es öfter als sonst vorgekommen, daß er vor sich hingestiert und gar keine oder nur verworrene Antworten gegeben hatte. Als er dann wieder zu sich gekommen war, hatte er aus sich selbst einen kleinen, feigen Aufschub herausgehandelt. Die Zeit der kecken Sprünge ins Ungewisse war endgültig vorbei.
    Keinem hatte er etwas gesagt, und statt Hauptmann Verlet, seinen ungarischen Güterdirektor, oder Frau von Stuntz oder beide, die Julienne seit deren Jugend kannten, nach Belgrad zu schicken, hatte er die Dame und den Hauptmann nach Wien befohlen, die Sorge für Juliennes Reise aber dem Bischof überlassen.
    Da sich sobald keine Schiffsverbindung donauaufwärts nach Wien ergeben hatte, war der Landweg gewählt worden. Vorausgesandte Kuriere hatten während der ganzen Reise für alles Nötige in dem verwüsteten Lande gesorgt, und wenn Julienne auch als eine Geheimnisvolle gereist war, so hatte sie doch in den Klöstern, Gutshöfen und Stadtkommandanturen, ihr als Stationen zugewiesen, nichts vermißt, weder bequeme Unterkunft, reich gedeckte Tafel noch Höflichkeit. In Wien war sie für die erste Nacht bei den Karmeliterinnen abgestiegen, von wo eine Hofkutsche des Prinzen sie am nächsten Vormittag hatte abholen sollen.
    Zu gleicher Zeit hatte der Prinz einen kleinen Kreis von Personen um sich versammelt, ohne auch nur ein einziges Mitglied seiner Hofhaltung hinzuzuziehen. Es war alles etwas geheimnisvoll gewesen. So war keiner von den Versammelten über den Zweck der Berufung verständigt worden. Man war gekommen, weil es befohlen worden war oder weil man dem Prinzen seine Bitte nicht hatte abschlagen wollen. „Möchten die verehrten Damen und Herren sich noch eine kurze Weile gedulden“, hatte der Prinz, höflich wie stets, gebeten und dabei dem
    Herrn von Andlaw eine Prise angeboten,

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