Der Eunuch
Verschrobenheit der Christen, sich ihren Göttern durch Zuwiderhandlung gegen Tugend und Pflicht empfehlen zu wollen. Das beweise, wie Menschen, die dem wahren Glauben widerstreben, sich den Einflüssen des Scheitan preisgeben. Die höchste Tugend einer Frau sei es, die Menschheit zu erhalten, und eines Mannes, ihr zu diesem Zweck Nachkommen zu erwecken. Jegliche Enthaltsamkeit in dieser Hinsicht sei Laster und Unzucht.
Damit sprach sie das Glaubensbekenntnis einer Türkin und Mohammedanerin aus. Der Prophet hatte die gleiche Meinung nicht nur gepredigt, er hatte nach ihr gelebt und war damit allen Männern des Islams zum Vorbild geworden. Sieben Frauen hatte er gleichzeitig gehabt, und von keiner war je vernommen worden, daß er sie vernachlässigt habe. Ihm sei Ehre.
Natürlich habe Ihre kaiserliche Hoheit völlig recht, pflichtete Beschir bei, um die Beharrlichkeit der Walide durch bereitwillige Anerkennung ihrer Überzeugungen zu erschüttern. Unverständlich sei es, wie Christen, ohne ihrer Sünde bewußt zu werden, sich so völlig entgegengesetzt zu dem verhalten können, was allen Verständigen recht dünke. Es handele sich hier um eine Verderbtheit durch den christ-lichen Fehlglauben, der Stanislaus Leszcinskis Tochter zum Opfer gefallen sei.
Wenn Beschir jedoch geglaubt hatte, seine überallhöchstzuverehrende kaiserliche Freundin beschwichtigt zu haben, irrte er sich. In Wahrheit hatte er es auch nur gewünscht und gehofft, aber selbst nicht geglaubt. Er kannte Frauen, und so war er nicht überrascht, daß Aigische Sultana seufzte.
Es war demnach soweit: Das vertrauliche Gespräch über Sultan Mahmuds Kinderlosigkeit und den Kummer der verhinderten Großmutter war nicht mehr zu vermeiden. Es würde nicht das erste dieser Art sein. Wer hätte das besser wissen können als Beschir? So wehrte er sich nicht länger.
„Ich frage mich immer, Exzellenz“, sagte denn auch ganz nach Beschirs Erwarten die Walide, „was sträflicher ist: die teuflische Dummheit verblendeter Christinnen und Christen — oder die Gleichgültigkeit von Moslemin gegenüber Allahs Gebote, und nun gar bei unserm Herrn, dem Padischah, dem Kalifen, dem Statthalter des Propheten, dem in allen Stücken nachzueifern Sultan Mahmud höchstes Gebot sein müßte. Dennoch ist er kinderlos. Bis zu seiner Thronbesteigung war es Trotz, der ihn Frauen fernhielt. Sagen Sie mir, Beschir, was ist es jetzt?“
Beschir war zu sehr Kislar Aga, um nicht wenigstens zu versuchen, einer Stellungnahme in bezug auf seinen Schüler und Herrn auszuweichen. Mit einer Geste des Nichtwissens hob er nur leicht die Schultern.
„Gut, ich verstehe“, übersetzte Aigische die stumme Antwort, „Sie möchten sich nicht äußern, obwohl mein Sohn und ich schon viele offene Worte von Ihnen haben hinnehmen müssen und Ihnen nicht ein einziges übelgenommen haben.“
Was nicht vorzukommen pflegte und nicht zu geschehen hatte - jetzt war es Tatsache geworden. Beschir war in die Ecke gequetscht worden, und zwar von einer Frau. Sollte er sich als Diener seines Herrn erklären - ein Sklave und nichts weiter? Er war Beschir der Sklave, Beschir der Pilger, aber in Wirklichkeit Beschir der Regent dieses Reiches. Warum war er das? Er hatte den Sohn und die Mutter immer mit Brot statt mit Steinen bedient. Jetzt wäre es zu spät und auch zu gefährlich gewesen - jetzt konnte er nicht damit anfangen, ihnen statt Substanz noch so offizielle Phrasen zu bieten. Zumal bei der Walide konnte er das nicht. „Es sieht nicht so aus“, sagte er, „als solle die Dynastie Osman aussterben.“
Und nun kam das, was Beschir befürchtet hatte. Aigische wurde heftig.
„O nein!“ rief sie. „Meinen Schwager Ahmed hat man nicht, wie meinen kaiserlichen Gatten, von seinem Harem getrennt. Ahmed hat man außer dem Thron alles gelassen. Er residiert als der Angebetete nodi immer im Kreise seiner Frauen und gibt dem Volk das Schauspiel eines gottgefälligen Familienlebens, während mein Sohn Mahmud . . .“
„Hoheit meinen, der gegenwärtige Zustand könne dem Ansehen der Majestät schaden?“
„Und Sie denken, der Majestät Ansehen bedeute nicht viel, solange Sie da seien, uns zu regieren“, bemerkte sie mit aufwallender Bitterkeit.
In diesem Augenblick war Aigische ungerecht.
„Ich bin nicht so vermessen, das zu glauben“, war alles, was der Kislar erwiderte. „Außerdem würde ein Eunuch auch nie populär sein — höchstens gefürchtet. Aber Hoheit vergessen, daß beim
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