Der Eunuch
verspielt. Man braucht ihn nicht zu entehren. Der gemeine Mann hat, wie Hoheit bereits erwähnten, ohne Hilfe der Offiziere die Macht ergriffen. Dieser Sieg ist mit Ahmeds Niederlage verbunden. Seine Rückkehr wäre für die Männer in Reih und Glied dasselbe wie eine verlorene Schlacht. Sie hätten diese Schlacht nachträglich verloren, und damit würden sie sich nie zufriedengeben. Kein Padischah kann gegen den Fleischmarkt regieren. Dagegen wird der Name Sultan Mahmuds, meines kaiserlichen Herrn, indes wir hier reden, bereits von den Regimentern genannt.“
Mahmud erhob sich .
„Ich beschwöre Eure hohe Exzellenz“, sagte er, „dessen eingedenk zu sein, welches Leben ich bis zu diesem Tag führte, abgeschieden von der Welt, den Wissenschaften und allen körperlichen Übungen entrückt, in denen meine Ahnen so oft glänzten. Wie könnte ich Kaiser
sein?“ „Ich erinnere mich“, erwiderte Beschir mit einem leichten Anflug von Gekränktsein, „kaiserlicher Hoheit stets über die Angelegenheitendes Reiches und die Ereignisse außerhalb des Serails Vortrag gehalten zu haben. Auch gibt es in der Geschichte keinen osmanischen Prinzen unverwirrten Geistes, der, wenn er dazu berufen wurde, sein erhabenes Haus nicht mit Würde und Glanz vertreten hätte.“
Länger konnte Aigische sich nicht wehren. Ihre Angst wich den Wünschen, und die Wünsche ließen sie für das Wagnis sich entscheiden. „Wage es, Mahmud“, bat sie. „Du kannst es tun - mit Beschir kannst du es.“
„Meine Herrin . . .", Mahmud zögerte immer noch . . . „Wenn mein Oheim, ein erfahrener Mann . ..“
„Er war keiner und ist keiner“, entgegnete ihm seine Mutter.
„Ich kann Seine kaiserliche Hoheit wohl verstehen“, meinte Beschir und wandte sich dann an Mahmud selbst. „Die Macht liegt auf der Straße, Hoheit, aber es wird nicht leicht sein, sie aufzuheben. Ehe Sie diese Macht wieder fest in Ihren Händen haben, wird eine geraume Zeit vergehen, eine Zeit, die Hoheit nicht glücklich machen wird. Aber so wenig an Macht Hoheit auch heute und morgen besitzen werden -eins ist Ihr unveräußerliches Eigentum, das Sie nicht den Truppen, sondern nur sich selbst und Ihrem mit Ihnen geborenen Recht verdanken. Es ist Ihre Legitimität. Sie wird sich am Ende als das Stärkere erweisen, besonders wenn es gelingt, und es wird gelingen!, die Aufständischen zu spalten. Diese Legitimität, Hoheit, beruft Sie zum Thron, und es ist Ihrer Dynastie und Ihren Völkern gegenüber Hoheits Pflicht, den Ihnen von Allah verliehenen Thron nun auch zu besteigen.“
„Es ist bereits entschieden, Exzellenz“, erklärte Mahmud nicht ohne Haltung. „Ich bin nicht der Sohn, mich einem mütterlichen Befehl zu widersetzen. Und meine Mutter befahl. - Wann, glauben Euer Exzellenz, wird es geschehen?“
„Morgen, mein Padischah.“
10
Ahmeds Ängste brachten den drei Gefangenen des Bostandschibaschi den Tod: dem Kapudanpascha, dem Kiaja und dem Großwesir-Eidam, Ahmeds eigenem Schwiegersohn. Ein Gerücht hatte vom Anmarsch der Aufständischen auf das Serail wissen wollen, worauf der Sultan den Todesbefehl gab. Allerdings widersprachen die drei höchsten geistlichen Herren: der neue Mufti und die beiden Oberstlandrichter. „Mein Padischah“, sagte der von Rumili, „sende doch ein paar deiner Diener, die Wahrheit zu erforschen.“ Als die Abgesandten aber mit der Meldung zurückkamen, daß weit und breit kein Aufständischer zu sehen gewesen sei, waren die drei Opfer bereits erwürgt. Auf einem Karren wurden die Leichname durch Ochsen zum Fleischmarkt gefahren und den Rebellen ausgeliefert.
Soldaten und Volk hätten demnach zufrieden sein können, doch ihr Machtrausch hatte die Wesire lebend verlangt, und nun die Truppen sie als Tote vor sich sahen, fühlten sie sich um deren Qualen betrogen. Die Leiche des Kapudan warfen sie vor den Brunnen Chorchor, die des Kiaja auf die Wegscheide vor dem Fleischmarkt und die des Großwesirs auf den Serailplatz vor die herrliche Fontäne, die er selbst erbaut hatte. Das war zwar eine Erniedrigung der hohen Ämter, aber für die Rebellen doch nur halber Genuß, und so beschleunigte dieser letzte Rest von kaiserlichem Anstand - den Entfesselten die verlangten Opfer nicht lebend zuzugestehen - Sultan Ahmeds ohnehin schon entschiedenes Geschick.
Es war Ispirisade, der Scheich von Aja Sofia, der seinem Padischah ins Gesicht sagte, daß man ihn nicht mehr wolle. Alle empfanden das als eine Unverschämtheit. Das zeigte sich,
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