Der Eunuch
Weiterverpachtung sie zwar viel Geld verdienten, aber auch das Brot verteuerten. Dieses Verlangen, das von weiland Ibrahim Pascha gegen Beschirs Vorhaltungen immer wieder zurückgewiesen worden war, hatte den Aufständischen viele Anhänger zugebracht. Jetzt wurde es sogleich erfüllt, was Chalil nicht abhielt, am nächsten Tag den ersten Generalleutnant der Janitscharen bei einer Meinungsverschiedenheit auf dem Fleischmarkt niederzuschlagen, während die Herren Kameraden mit ihren Säbeln den Rest besorgten.
Und dann kam der Freitag und mit ihm das Fest der Säbelumgürtung in der Moschee Ejubs. Dieses Mal fuhr kein abgesetzter Padischah in seinem Käfig dem neuen voran; aber für viele war das, was sich bei dieser Säbelumgürtung begab, weit anstößiger. Unmittelbar vor dem Sultan ritten Chalil und Mußli, wiederum in Nichtachtung kaiserlicher Autorität mit nackten Beinen und der revolutionären Kopfbinde. Und als sei das nicht genug, fügten sie, die doch die Vertreter des Aufruhrs und nicht des Kaisers waren, den Hohn hinzu, daß sie als die Segenspender ritten. Nach der Tradition waren zwölf Beutel Goldes unter die Menge zu werfen. Den beiden Rotbinden war das nicht genug gewesen. Der Padischah gab zwölf - sie aber gaben fünfzig Beutel dem harrenden Volk.
In den letzten Jahren der Regierung Ahmeds hatten die Minister und Großen des Landes, um einem Wunsch ihres Herrschers zu genügen, sich zu beiden Seiten der süßen Wasser mit Landhäusern angebaut. Damit nichts an Ahmed und seinen Großwesir Ibrahim erinnere, hatten sich die Aufständischen als festlichen Beschluß des Tages den Antrag ausgedacht, diese Lusthäuser verbrennen zu dürfen. Selbst das wurde zwar nicht gewährt, aber auch nicht gänzlich verworfen. „Zum Verbrennen gebe ich meine kaiserliche Zustimmung nicht. Wir würden zum Gelächter der Ungläubigen werden“, lautete des Sultans Antwort. Aber sie schloß: „Ich erlaube nur, daß man die Gebäude zerstöre.“
Bei der Außenpolitik mußte sich Beschirs wohlüberlegtes Entgegenkommen eine Einschränkung gefallen lassen; aber im Falle Mußlis hörte jede Begünstigung auf, wenn auch ein offenes Entgegentreten vermieden wurde.
Noch vor wenigen Tagen hätte Mußli gewiß nicht daran gedacht, auf seinen bewunderten Freund Patrona Chalil eifersüchtig zu sein. Aber der Erfolg und der Lohn des Erfolges hatten das zuwege gebracht. Man sprach ein wenig zu oft von Chalil. ohne Mußli zu erwähnen.
Mußli war der Frau seines Freundes rechtschaffen zugetan, und daran änderte sich auch jetzt nichts, da er sie als das Mittel zu seiner Erhöhung ausersehen hatte. Rakije war inzwischen eine große Person geworden. Sie wohnte nicht nur in einem kaiserlichen Palast, sondern auch das Unausdenkbare, was Mußli immer nur für eine Großsprecherei Chalils gehalten hatte, war eingetroffen: nach ihrer Entbindung hatte Rakije mit allem Prunk den Scherbet und die Glückwünsche der erhabenen Walide erhalten. Der eigene Hofmeister der Kaisermutter hatte ihr mit großem Gefolge beides überbracht. Mochte das kaiserliche Ansehen durch den Aufstand auch gelitten haben — eine Walide blieb immer dasselbe, was sie war, unantastbar und auch für den ruppigsten Janitschar Sinnbild höchster Ehrfurcht, sie, die Vertreterin weiblicher Fruchtbarkeit, die Quelle des Lebens. Ein Abglanz von ihr war auf Rakije gefallen, und alle trachteten, so schnell wie möglich zu vergessen, daß man ihr einst hatte verwehren wollen, Kinder anständiger Frauen auch nur anzurühren. Lediglich Mußli wollte nicht vergessen. Er hatte Rakije nie geschmäht, sondern, da die vielen es getan hatten, ihnen als Chalils guter Freund geantwortet. Jetzt aber wollte er, daß auch sie bleibe, was sie gewesen war: der dunkle Punkt des Patrona Chalil.
In dieser Hinsicht konnte Mußli sich seinem Freund überlegen erweisen, und irgendeine Überlegenheit mußte er haben, um jetzt, nach dem Sieg, die andern Überlegenheiten Chalils ertragen zu können. Patrona Chalils Frau sei eine Straßendirne gewesen, von der ihr Mann sich habe aushalten lassen! Da hinein verkrallten sich Mußlis Gedanken. Er aber, Mußli, sei ein stattlicher Mann, ein starker Mann, ein siegreicher Mann und obendrein ein Mann ohne Makel. Er werde sich auch eine Frau nehmen, aber keine fortgejagte Sklavin, deren sich die Herrschaft entäußert habe, sondern eine Hanum, eine richtige Hanum, ein Mädchen, das Sprachen spreche und schon vor der Revolution Beziehungen zu höchsten
Weitere Kostenlose Bücher