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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Exzellenz? Aber daß Sie recht haben, davon bin ich überzeugt. Doch durchführen kann es nur einer, und das sind Sie.“
    „Das ist er“, wiederholte Aigische. „Er muß den Padischah retten. Sie müssen, Beschir.“
    „Solange unser Padischah dem, der die Macht ausübte“, sagte Beschir mit wohlüberlegter Wahl der Worte, „sein Vertrauen bewahrte, war er kein schlechter Herrscher. Erst dadurch, daß er es ihm plötzlich entzog, geriet er in die Lage, in der er sich jetzt befindet.“
    „Sie ist nicht hoffnungslos, nicht wahr? Sprechen Sie, Kislar!?“ bestürmte ihn die Sultana. „Keine neue Absetzung, nur das nicht!“ Sie dachte an ihren verstorbenen Mann, und der Kislar wußte genau, welche Bilder die Sultana erfüllten.
    Es hatte sehr einfach geklungen: .Bruder, die Truppen wollen dich zum Padischah.' Mit diesen Worten hatte Mustafa II. vor siebenundzwanzig Jahren seinem Bruder Ahmed III. den Thron überlassen. Aber vielleicht hätte er die Waffen zur rechten Zeit und mit allem Nachdruck angerufen, wenn er gewußt hätte, was er mit dem Thron sonst noch verlieren würde. Etwa das Leben? Es gab noch anderes, was einem abgedankten Padischah die Rückkehr auf den Thron unmöglich machen mußte: die Entehrung als Mann.
    Mustafa war sie am dritten Tag nach Ahmeds Ankunft in Konstantinopel widerfahren.
    Ein überaus glänzender Festzug hatte sich zur Säbelumgürtung des neuen Padischahs nach der Ejub Moschee begeben; eingeleitet worden war er jedoch durch eine Schaustellung der Tragödie des Bruders. In einem vergitterten, von weißen Eunuchen umgebenen Wagen hatte Sultan Mustafa den Zug eröffnen müssen. Ihm waren die Wagen der Mutter, der Tochter, der Schwester und die dreißig Wagen seiner Frauen in einer Eskorte schwarzer Eunuchen gefolgt, sein ganzer Harem, den er seit seiner Absetzung nie mehr hatte Wiedersehen sollen. Denn zum Beschluß der Inthronisation des Bruders wurden Mustafas Damen ins Alte Serail übergeführt und er selbst mit seinen vier Söhnen im Prinzenkäfig des Neuen Serails festgesetzt. Am zweiundzwanzigsten August 1703 war er entthront worden — am einundzwanzigsten Dezember desselben Jahres war er gestorben. Lange hatte er seine Absetzung nicht überlebt.
    „Ich bin überzeugt, er hat nicht mehr leben wollen“, sagte Aigische. „Wenn einer Hand an ihn legte, so war er es selbst. Sultan Mustafa war für jeden andern ungefährlich, als er starb.“
    Seit jener Zeit hatte sich Beschir — damals noch Schatzmeister des Harems - der gestürzten Familie angenommen, und so bedurfte es nicht vieler Worte, daß sich Sultana und Kislar verstanden, und ohne Beschir hätte Sultan Mahmud dem Gespräch kaum folgen können, weil es ein Brauch des Serails war, Personen wie ihn, ungeachtet ihrer hohen Geburt, durch Unwissenheit der Herrschaft fernzuhalten . . . oder es doch wenigstens zu wollen.
    „So begreifen Sie also auch, Exzellenz, wie schrecklich es mir wäre, wenn sich das alles noch einmal wiederholen wollte?“
    „Das gerade Hoheit so reden!“ verlieh Beschir einer Überraschung Ausdruck, die er gar nicht empfand. „Unser Padischah hat sich nicht gerade bemüht, dem hohen Verstorbenen, Euer Hoheit Gatten, das zu ersparen, dessen Wiederholung Hoheit so befürchten. Ich müßte mich sehr irren, wenn Kia Sultana im gleichen Fall nicht lediglich von Haß- und Rachegefühlen sich leiten ließe.“
    „Gerade deswegen muß Ahmed unser Padischah bleiben. Sultan Selim ist erst fünfzehn Jahre alt, Kia würde also nicht nur Walide, sondern auch als Vormünderin ihres Sohnes Regentin sein. Sie würde alles tun, ihre Macht zu behaupten, und sich des Eroberers erinnern, der zweimal seinem Vater den Thron wieder abtreten mußte und sich erst nach dessen Tode das drittemal auf ihm behaupten konnte.“
    „Mir scheint, meine mütterliche Herrin hat recht. Mein Oheim kann immer noch aus seinen Fehlern Belehrung schöpfen. Die Erniedrigung eines osmanischen Fürsten jedoch schwächt das ganze Herrscherhaus und in ihm die starke, aber auch einzige Klammer dieses Reiches vieler Völker.“
    Jetzt war Beschir wirklich überrascht. Er kenne wenige Fälle, sagte er dennoch, daß jemand aus seinen Fehlern gelernt habe. Das sei nicht die Art der Menschen, die zumeist gar nicht den ernsten Willen haben, zur Wirklichkeit vorzustoßen, und sich lieber mit der bequemeren Oberfläche begnügen. Zu ihnen gehöre Sultan Ahmed, und so seien mit ihm als Padischah die Ziele, die sich der Zustimmung der Hoheiten

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