Der Eunuch
als Ahmed den Geistlichen erklärte, daß er den Thron abzutreten bereit sei, falls zwei aus ihrer Mitte sich von den Rebellen die Sicherheit seines und seiner Kinder Leben beschwören lassen wollten. Erstaunt und verwirrt über diesen plötzlichen Entschluß schwiegen die Ulema. Nur Ispirisade selbst und sein Freund Sulali Efendi, der sich von den Rebellen hatte befördern lassen, übernahmen schließlich den Auftrag.
Den ganzen Tag unterhandelten sie auf dem Fleischmarkt. Erst drei
Stunden nach Sonnenuntergang kehrten sie mit der Nachricht ins Serail zurück, daß die Sicherheit der Familie Ahmeds von den Truppen verbürgt und auf den Koran beschworen worden sei.
Die Stunde Mahmuds, des Sohnes Mustafas II. und dessen Chasseki Aigische Sultana, war gekommen.
Sultan Ahmed küßte seinen herbeigeholten Neffen auf die Stirn, der Neffe seinem Oheim die Hand. Zum letztenmal. Denn nun beugten sich auf einen Wink des Entthronten bereits die Prinzen, seine Söhne, über die Hand ihres Vetters.
In kaum mehr als einer Viertelstunde hatten weiße Eunuchen höchsten Ranges den neuen Herrscher zu den Tönen vorgeschriebener Chöre umgekleidet, ihm die duftbesprengte kaiserliche Kapanidscha aus schwarzem Zobel auf golddurchwirktem Grund angelegt und den Selimi, den runden Turban, aufgesetzt. Einen gleichen Turban hielt der Grußmeister in seinen Händen, um den Sterblichen damit zuzunicken, deren Grüße selbst zu erwidern ein osmanischer Kaiser viel zu hoch stand. Feierlichen Zuges, in dem jeder den genau festgelegten Platz seines Amtes und seiner Würde hatte, ging es die wenigen Schritte in den Saal des Prophetenmantels, der Borda. Dort ließ sich Aigisches Sohn die diamantenbesetzten drei Reiheragraffen an den Turban stecken und betrat Stufen, die ihn über alle erhöhten. Alle andern lagen auf den Knien und berührten, wie im Gebet in der Richtung nach Mekka, mit den Stirnen den Boden vor ihrem Padischah.
Mahmud I. hatte den Thron bestiegen.
Nicht einen Augenblick gab sich der Kislar der Hoffnung hin, daß die Revolution dadurch beendet sei. Noch immer befand sich das Zeltlager auf dem Fleischmarkt, noch immer standen die Kasernen leer, und Patrona Chalil und Mußli waren mehr als je die Häupter des Aufruhrs.
Sie waren es, die ihn im Diwan verkörperten, zu dessen Sitzungen man sie hatte hinzuziehen müssen. Sie hielt man für die alleinigen Urheber alles dessen, was inzwischen geschehen war. Beschir, der ohnehin als Hofwürdenträger außerhalb des Diwans stand, war der
letzte, durch sein Verhalten dieser Auffassung zuwidersprechen; denn die Möglichkeit, aus den beiden Janitscharen Politiker und Verbündete zu machen, hatte er von Anfang an kaum in Betracht gezogen. Ihm konnte also nur daran liegen, daß sie seinen Anteil an dem Geschehen im gleichen Maße vergaßen, wie mit ihrer Selbstüberschätzung ihr herausforderndes Benehmen und ihre Forderungen sich ins Unerträgliche steigerten. Auf diese Weise konnte sich Beschirs Hoffnung am leichtesten verwirklichen, daß Chalil und Mußli nicht nur vergessen, sondern bald gar nicht mehr in der Lage sein möchten, sich zu erinnern. Beschir hatte wegen der gleichen Beschränktheit und dem gleichen Eigensinn den Dilettanten Ahmed fallenlassen, und so war es doch wirklich nicht zu erwarten, daß er andere Dilettanten, die ihm weit ferner standen, hätte halten sollen. Es war das Gegenteil von Gunst, wenn er dafür sorgte, daß den beiden alles hinging und selbst die unsinnigsten ihrer Wünsche erfüllt wurden. Er wollte die Herren Janitscharen sicher machen. Und sie fühlten sich sicher.
Als der neue Padischah Chalil die Ehre erwies, ihn zu empfangen, erschien Rakijes Mann mit den nackten Beinen und der roten Kopfbinde des Revolutionärs. Die huldreiche Ansprache seines Herrschers beantwortete er dann noch mit einer anderen Frechheit.
„Mein höchster Wunsch ist erreicht“, sagte Chalil, „da ich dich auf dem Thron sehe, auf den ich dich gesetzt habe. Aber ich weiß auch, was auf den Wohltäter eines Thronherren wartet: ein schimpflicher Tod.“ Mahmud schwor bei seinen Ahnen, daß ihm nicht Leid geschehen solle, und forderte ihn auf, sich eine Gnade auszubitten, die ihm im voraus gewährt sei.
Chalil war gescheit genug, mit Rücksicht auf seine Anhänger nichts für sich, sondern nur die Aufhebung der Malikiane zu wollen, der lebenslänglichen Pachtungen, die es den reichen Leuten ermöglichten, große Ländereien in ihre Gewalt zu bekommen, mit deren
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