Der Eunuch
erfreuen, nicht zu erreichen. Dagegen sei er, Beschir, ebenfalls der Meinung Sultan Mahmuds, daß die Familie Osman kein Makel treffen dürfe.
„Nur auf diese Weise könnte Kia aber ihre Macht befestigen. Glauben Sie, daß die Sultanin darauf verzichten würde?“ fragte Aigische, und ihre Frage war Widerspruch.
„Das glaube ich gewiß nicht. Aber daraus folgere ich nur, daß Kias Sohn nicht Kaiser und sie nicht Regentin werden darf.“
„Doch für den Fall einer Abdankung denkt niemand im Serail an einen andern.“
„Dann denkt keiner richtig im Serail“, gab Beschir gelassen zurück. „Überdies ist es vollkommen gleichgültig, was man im Serail denkt. Im Augenblick gibt es nur eine einzige wirkliche Macht, und die hat ihren Sitz auf dem Fleischmarkt.“
Die Sultanin runzelte die Brauen.
„Und wo sind die Offiziere?“ fragte sie.
„Soweit sie sich nicht verborgen halten, im Neuen Serail.“
„Also Herrschaft des gemeinen Mannes“, stellte Aigische fest. „Schrecklich!“ „Jedenfalls schwierig“, gab Beschir zu. „Hoheit sollten aber bedenken, daß jede Macht zuerst einmal des gemeinen Mannes ist. Nur daß er meist wenig mit ihr anzufangen weiß. Aber wenn die Herrschenden sie ebenfalls nicht zu behaupten wissen, fällt sie zuletzt immer wieder an den gemeinen Mann zurück - in unserem Fall an den gemeinen Soldaten, ganz ohne alle Offiziere.“
„Sie denken doch nicht etwa an ein Bündnis mit den Rebellen, Exzellenz?“
„Würden Hoheit midi das fragen, wenn wir Schah miteinander spielten? Beim Schah kann ein einfacher Soldat einen König vom Brett werfen. Im Leben ist es nicht anders, und ich würde mit dem Scheitan ein Bündnis eingehen, wenn ich es für den Bestand de“ Osmanischen Reiches für notwendig hielte. Aber es ist nicht notwendig. Da es Ahmed nicht mehr sein kann und Selim mit seiner Mutter nicht sein dürfen - warum sollte man sich in Ratlosigkeit flüchten und nicht lieber einmal der Gesetze gedenken? Sie können ganz natürlich sein, die Gesetze. Ich zum Beispiel fand, daß nach osmanischem Recht der erledigte Thron stets dem ältesten Prinzen der Dynastie gebühre.“ Mit einem Ruck erhob sich Aigische.
„Was wollen Sie damit sagen?“ fragte sie streng.
„Daß ich keinen älteren Prinzen kenne als Sultan Mahmud, meinen erhabenen Herrn, vor dem ich mich untertänigst verneige.“
Ein Zittern durchlief die Sultana. Taumelnd sank sie, aufgefangen von ihrem Sohn, auf das Polster zurück.
„Haben Sie Erbarmen, Beschir - töten Sie mir mein Kind nicht!“ Beschir lächelte nicht über das ,Kind‘ von vierunddreißig Jahren. Er kannte diese Mutter zu gut. Als einst aus einer Königin des Harems eine vergessene Dame des Alten Serails geworden war, hatten sich erste freundschaftliche Beziehungen ergeben, und nun, nach siebenundzwanzig Jahren, stellte es sich heraus, daß von allen Frauen im Osmanischen Reich gerade sie für ihn die wichtigste war. Beschirs Skepsis war durch nichts einzuschläfern. Ob aber die Vorteile seiner Freundschaft mit Aigische Sultana von ihm bereits von Anfang an in Rechnung gestellt worden seien, das war eine Frage, die er weder mit ja noch nein ohne Einschränkung beantworten konnte. Als Staats-mann aber fühlte er sieh durch die Erkenntnis bestätigt, daß genau wie alle Kräfte seiner Persönlichkeit selbst gefühlsmäßiges Verhalten noch dem einzigen Ziel zugewandt sei, das er kenne. Sein Verhältnis zu Mutter und Sohn sei jetzt zur Grundlage seiner künftigen Macht geworden.
Eine Wahl hatte er tatsächlich nicht; aber auch nicht die Empfindung, daß er dann anders wählen würde. Im Gegenteil! So sehr erfüllte ihn Zuversicht, daß er sich vornahm, seine Vorsicht zu verdoppeln. Sidi selbst durch das Unwahrscheinlichste nicht überraschen zu lassen, war die erste Voraussetzung seines Wirkens.
„Euere kaiserlichen Hoheiten werden mir nun vielleicht zugeben, daß beklagenswerte Ereignisse wie bei Padischah Mustafas Abdankung sich nicht wiederholen werden.“
„Und Sie halten eine Rückkehr Ahmeds und eine Rache, die meinen Sohn treffen könnte, für unmöglich?“
„Nichts ist unmöglich. Aber was Hoheit andeuten, ist im höchsten Grade unwahrscheinlich. Weiter reicht freilich keine menschliche Voraussicht. Jede Macht, die nicht ständig gepflegt wird, verflüchtigt sich. Ihr Schwager Ahmed vergaß, wie er selbst zum Thron gelangte, und hat seine kaiserliche Macht durch leicht vermeidliche Fehler, ja durch kindischen Eigensinn
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