Der Eunuch
einmal hatte sie sich in ihren Selbstgesprächen eine Hochstaplerin genannt, und zu dieser Überzeugung war sie gelangt, weil niemandem im Harem die leiseste Anspielung darauf entglitten war, wer sie in Wirklichkeit wohl sein möge. Julienne hatte sich nicht veranlaßt gefühlt, es zu sagen, und das hatte ihr einen gewissen Respekt verschafft. Wieviel Mädchen in ihrer Lage wären standhaft genug gewesen, sich nicht sogleich die Erleichterung zu verschaffen, die Mitteilsamkeit gewährt? Die Zurückhaltung ihrer Umgebung war weit leichter zu erklären: das Thema hatte auf Wunsch einer anderen Stelle nicht berührt werden sollen. Wie hätte Julienne wissen können, daß diese andere Stelle der Mann war, der jetzt vor ihr stand?
Wenn er Juliennes ebenso sicher gewesen wäre wie der Walide, hätte er ihretwegen weniger Sorgen gehabt. Aber er hatte zu viele Frauen gekannt und kannte zu viele, um überhaupt mit Juliennes Verschwiegenheit zu rechnen, sondern nur mit den Vorsichtsmaßnahmen, die das Durchsickern des Geheimnisses in die Öffentlichkeit verhindern sollten. Nur die allerdringlichsten Notwendigkeiten hatten den Kislar vermocht, die endgültige Erledigung dieser Angelegenheit von Tag zu Tag hinauszuschieben, und um so größer war seine freudige Überraschung, als er bei seinem Wiederauftauchen im Harem erfuhr, daß kein Mensch auch nur eine Ahnung habe, wer die fränkische Dame sei. Erst daraufhin hatte er sich diese Aussprache, noch vor der Audienz und bevor Julienne etwa Geständnisse machen könne, erbeten.
„Sie, meine hochzuverehrende Hanum, sind eine der größten Überraschungen meiner nicht gerade kurzen Laufbahn“, begann er. „Warum?“
„Sie haben den Mund gehalten, Erlauchte. Niemand weiß, wer Sie sind.“ „Ich habe ihn schon seit langem gehalten, und auch Sie werden nichts von mir erfahren, wenn Sie sich auch noch so gescheit spreizen, als seien Sie der Herrgott in Person.“
„Sie haben vollkommen recht. Ich bin nicht der Herrgott. Ich bin ein Eunuch, und was das ist, wissen Sie.“
„Midi interessiert nur, daß Sie im Palast der Prinzessin versprachen, midi in den nächsten Tagen aufzusuchen. Wer nicht kam, waren Sie. Das ist nicht das Verhalten eines Kavaliers, eines Tschelebi. Fragen Sie, wen Sie wollen, wenn Sie es selbst nicht wissen.“
„Ich kann nur hoffen...", wollte der Kislar beginnen, doch weiter kam er nidit.
„Hoffen Sie nicht“, sagte Julienne. „Ich habe die Walide um eine Audienz gebeten und nicht Sie.“
„Die Audienz werden Sie erhalten.“
„Dann weiß ich nidit, warum ich erst noch lange mit Ihnen reden soll. Ich bin zwar nur ein Bastard ...“
Sie erwartete Widerspruch wie damals, als sie zum erstenmal damit aufgetrumpft hatte. Zu ihrem Mißvergnügen erntete sie Zustimmung. „Stimmt“, sagte Beschir mit einer einladenden Geste, „Euer Gnaden sind ein Bastard. Aber wollen das Fräulein nicht Platz nehmen? Es plaudert sich besser im Sitzen.“
Ohne selbst dessen gewahr zu werden, gehorchte Julienne dem Frechen, der sich herausnahm zu bestätigen, was nach ihrer Überzeugung nur sie selbst sich zu sagen erlauben durfte. Doch da die Vorsicht ihr zu hören gebot - sprach Beschir.
„Im Sinne der Ungläubigen“, sagte er, „hat das Fräulein recht. Bei uns von Allah Erleuchteten freilich erstreckt sich der eheliche Segen nur auf die zwei Menschen, die ihn jeweils nachsuchen, während die Kinder ein und desselben Vaters untereinander alle gleichberechtigte Geschwister sind. Bei Euer Gnaden kommt freilich mehr die mütterliche als die väterliche Linie in Betracht. Dero Frau Mutter waren Mademoiselle de Soissons, Prinzessin von Savoyen-Carignan, Tochter Seiner durchlauchtigsten Hoheit des Grafen von Soissons und der Olympia Mancini, Nichte des Kardinals Mazarin. Mademoiselle de Soissons war somit die leibliche Schwester des weltberühmten Prinzen Eugen von Savoyen. Sie starb kurz nach Dero Geburt 1705. Für den unbekannten Vater ..."
„Der Ihnen natürlich bekannt ist..
In diesem Fall war es zwecklos, den Kislar unterbrechen zu wollen. „Für den unbekannten Vater“, wiederholte er, „trat besagter Prinz für Sie ein, und so habe ich die Ehre, der Reichsfreiin vom Vorberg auf Schloß Promontor meinen Respekt zu bezeigen.“
„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, lassen wir es mit dem Respekt genug sein“, sagte sie trocken. „ Iich bin nicht weiter neugierig auf mich.“
„Wie es der Baronesse beliebt. Mir genügt es, wenn ich annehmen darf, daß
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