Der Eunuch
wurde. Trotz enger und engster Gassen und Gäßchen am Grunde der hohen Häuser, in deren Schluchten die Sonne sich nur schüchtern hineinwagte, weitete sie sich immer wieder zu Bildern von Reichtum und Pracht. Nur hier zwischen Osten und Westen hatte sie entstehen können, in Wahrheit eine Weltstadt, weil sie die Stadt mancher Welten war.
Ein Bedauern überlief Julienne, daß sie das alles verlassen sollte, und dazu ein Ärger über sich selbst. Tue sie nicht alles, den Abschied zu beschleunigen ? Sei es nicht geradezu lächerlich, etwas so Seltenes wie diese Audienz gleichsam erzwungen zu haben, nur um wieder in das öde Promontor zurückzukehren, das wie alle ungarischen Schlösser mehr eine Festung als ein Schloß und ganz und gar keine Heimstätte sei? Natürlich blieben ihre Gedanken bei Promontor nicht stehen, und welches andere Ziel hätten sie ansteuern können, wenn nicht den großen Mann, der mehr schlecht als recht ihr Onkel sei? Durch ihre Baronisierung hat er diese Tatsache anerkannt. Daß es etwa aus Achtung für ihre Mutter, seine leibliche Schwester, geschehen sei - daran verschwendete sie freilich keinen einzigen Gedanken. Und von Liebe könne ebensowenig die Rede sein. Wahrscheinlich sei so ein kleines Totengerippe mit Allongeperücke überhaupt keiner Gefühle fähig. Hätte er sie nicht längst an seinen Hof ziehen können? Nicht gerade als Silberbewahrerin. Aber er habe ja eine Bibliothek und Gärten, die für sie zu einem Wirkungskreis hätten werden können, und der Platz als Erste Dame seines Haushaltes, einer „dame de la cour du Prince“, sei bei diesem Hagestolzen nie besetzt worden. Vielleicht werde er jetzt daran denken müssen, dachte sie nicht ohne einen kleinen Haß und einen großen Triumph. Genug Lärm werde ihre Rückkehr schon aufwirbeln. An allen Höfen solle man von ihr sprechen, und dabei könne eine hohe Frau wie die Walide ihr helfen. Möglichst prunkvoll müßte ihr Wiederauftauchen, der Abschied von Konstanti-nopel, die Reise und die Übergabe an der Grenze erfolgen - dann sei sie ein politisches Objekt, und dann könne sich Wien auch nicht lumpen lassen. Nein - die Audienz sei schon das Richtige ...
„Euer Gnaden ...", hörte sie flüstern - sie drehte sich um.
Die Flügeltür der einen Seitenwand öffnete sich. An den seidenen Gewändern der Eintretenden erkannte sie höhere Eunuchen - die unteren trugen Tuch und als sie, etwas zu hastig, in die Mitte des Saales getreten war, sah sie auch schon den Lala, den Hofmeister der Walide. Das war ihr Zeichen. Hinter ihrem Lala kam die Herrin, soweit kannte sie sich in den Zeremonien aus. Julienne versank also in einen tiefen Hofknicks, der sich wenig von der byzantinischen Proskynese unterschied und es jedenfalls verhinderte, daß Julienne etwas wahrnahm, was sich höher als einen Meter über dem Parkett bewegte. Sie erwartete, die Stimme der Hoheit zu hören und vielleicht aufblickend die ihr huldreich hingestreckte Hand der Fürstin zu sehen.
Statt dessen vernahm sie etwas anderes.
„Euer Gnaden geruhen mir eine Ehre zu erweisen, die einem Unwürdigen wie mir nicht zusteht“, sagte eine ihr nicht unbekannte Stimme. Julienne kam schneller in die Höhe, als sie sich bei der Verneigung dem Boden genähert hatte.
Ja, das war er, der ,magere Lange“, das war er, der Hagere, der da mit über der Brust gekreuzten Armen in Verneigung vor ihr verharrte. Jetzt richtete er sich auf und sah sie nicht ganz ohne Belustigung, aber auch mit beträchtlichem Wohlwollen an. Ihr erstes Gefühl war Trotz gegen ihn, der sie so lange hatte warten lassen, doch dann konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, den er auf sie machte: schlank und groß, im marderbesetzten gelben Kaftan, den Fächer im weißen Gürtel und auf dem Kopf die grünumwundene Kürbishaube des Eunuchen - so stand er da.
Mit einer weichen Bewegung hob er die Hand, als wolle er etwas fortstreichen. Und er strich auch etwas fort.
Über die Lautlosigkeit der Eunuchen hatte sich Julienne schon oft gewundert. Sie schienen ihr aus den Wänden zu kommen und durch sie wieder zu verschwinden. Auch jetzt geschah das . .. Als sie sich zu einer Antwort aufraffen wollte, war sie mit dem Hageren allein -ohne von dessen hoher Würde etwas zu wissen.
Wenn Julienne nach ihrer Gewohnheit nicht auch im Harem mit einer großartigen Unbefangenheit über die Meinung ihrer Umgebung hinweggegangen wäre, hätte sie sich weit unsicherer gefühlt, als es in der Tat der Fall war. Mehr als
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