Der Eunuch
bewundert.“
„Die andern“, meinte Beschir, „streben offenbar danach, durch Selbstentäußerung und Mißachtung ihres Leibes in die unmittelbare Nähe Gottes zu gelangen.“
„Ist das ein Weg?“ fragte Julienne.
Beschir wich aus. „Es gibt noch einen zweiten“, sagte er. „Den Lusthunger mit allen Mitteln zu stärken, bis er ein Wolf ist, um ihn dann mit sich selbst zu sättigen. Manchem mag es gelingen, sich seiner Brunst, die den Geist trübt, auf diese Weise zu entledigen.“
„Also alles erfahren, alles erleben?“ ein Schauder überlief Julienne. „Mit dem eigenen Körper erleben?“ fragte sie noch.
„Es ist schwer, sich nicht dabei zu verlieren.“ Beschir sagte es als eine ferne Warnung.
„Aber möglich ist es?“ beharrte sie nur noch mehr.
Beschir gab nach.
„Wir haben Beweise.“ Nur gedrungen gab er die Antwort.
„Nun ja, Sie denken, es sei nicht mein Weg“, meinte Julienne auf eine Art, die ihre Enttäuschung verriet. „Aber wissen Sie denn gar nichts, woran ich mich halten könnte?“
„Ich kann Ihnen nur das größte Verbrechen nennen, Julienne“, sagte Beschir, „oder das, was ich dafür halte.“
„Nennen Sie es! Bitte, nennen Sie es, Beschir.“
„Nicht wissen wollen. Nicht wollen! - Das ist das größte Verbrechen.“ Beschir hielt inne. „Und es würde mich freuen, Julienne“, fuhr er dann fort, „wenn es mir gelungen wäre, Sie von Ihrem Aberglauben in bezug auf unsere Welt des Islams ein wenig zu befreien ...“
„ ... Sie beschämen mich, Beschir ...“
„Das war nicht meine Absicht. Iich fragte nur, um zum Anfang unseres Gespräches zurückkehren zu können.“
„Sie sagten, ob ich mir vorstellen könne, daß ein anderer an die Stelle des Prinzen in mein Leben träte. Und dann meinten Sie auch, daß dieser andere sich gefunden habe. Aber, verzeihen Sie, Beschir, das letzte kann ich mir unmöglich vorstellen. Iich wüßte wirklich nidit, wer es sein sollte.“
„Er ist ein Mensch, der in Stambul etwa die gleiche Machtstellung inne hat, wie der Prinz in Wien. Und ich unterschätze die Macht Seiner Hoheit keineswegs. Aus königlichem Blut wie Eugen ist er allerdings nidit. Aber Sie wissen ja, daß Abstammung bei uns keine Macht gibt. Sein Schutz würde jedenfalls hier ebenso wirksam sein, wie der des Prinzen in Wien.“
„Und was veranlaßt diesen Wundermann, mir zum Bleiben verhelfen zu wollen?“
„Noch kein bestimmter Gedanke, sondern nur die Möglichkeit einer späteren Zusammenarbeit. Doch das darf Sie nicht beunruhigen. Es würde alles nur von Ihnen abhängen. Niemand würde Sie zwingen, etwas zu tun, was Ihnen mißfiele. Auch mit Ihrer Dankbarkeit würde nicht gerechnet werden. Die hohe Exzellenz, von der ich spreche, kann sich enttäuschte Hoffnungen leisten.“
„Haben Seine hohe Exzellenz einen Namen?“
„Exzellenz heißen Beschir.“
Julienne konnte einen Schrei der Überraschung nicht unterdrücken. „Aber Sie sind doch nicht...?“
„Allerdings bin ich der Kislar Aga, also der Mädchenaga, Präfekt der schwarzen Eunuchen des kaiserlichen Harems und hohe Exzellenz, Kurator aller kaiserlichen Moscheen und Universitäten - Elhadsch Beschir - der Pilger Beschir.“
„Aber vom Kislar Aga erzählt man sich doch ... daß er Sultan Ahmed verraten habe?“
„Ganz recht, Julienne, der Verräter bin ich.“
In einer Versammlung beim Großwesir forderte Patrona Chalil die Kriegserklärung gegen Rußland, weil es die Perser begünstige. Kaplan Girai war schon vor Tagen aus Brusa eingetroffen. Obwohl seine Wiedereinsetzung als regierender Krimkhan von den Aufständischen gefordert und erzwungen worden war, sprach er gegen den Antrag. Patrona nahm diesen Einspruch, der dem gesunden Menschenverstand als etwas Selbstverständliches erscheinen mußte, wenig freundlich auf. Etwas seltsam war es freilich auch, daß gerade der Günstling der Aufständischen das, was gesagt werden mußte, aussprach, während alle andern schwiegen. Auf diese Weise geschah es, daß Patrona Chalil, trotzdem er mit einer großen Zahl seiner eifrigsten Anhänger erschienen war, die Entscheidung doch nicht erzwingen konnte. Die Beratung wurde vertagt.
Vor wenigen Wochen wäre ein derartiges Ergebnis nicht möglich gewesen, doch inzwischen war die Lage der Regierung besser geworden. Zuerst hatte das Thronbesteigungsgeschenk diese Wendung herbeigeführt, und dann waren in den letzten Tagen die geheimen Zuwendungen an einflußreiche Janitscharen ebenfalls nicht ohne
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