Der Eunuch
,Alais‘ in den Ruf aus: „Unser immer siegreicher Padischah und seine unüberwindlichen Waffen - Alai!“
Die Worte ,immer siegreicher Padischah' waren das verabredete Zeichen. Während aller Augen auf den prunkvollen Einzug des Erhabenen gerichtet waren, kam Chalil der Pehlewan mit seinen Zweiunddreißig ganz ohne Getöse aus dem Saal der Sofawächter, und als die Majestät sich niederließ, waren, ohne daß Patrona und Mußli es überhaupt bemerkt hatten, alle Türen besetzt.
Wie eine Ratte hätte der Pehlewan den Patrona niedermachen können, doch das widerstrebte ihm als wackeren Mann und Türken. „He, Patrona!“ rief er, „wende dich um!“ und nachdem Patrona der Aufforderung gefolgt war und sein Ende gesehen hatte, fügte der Pehlewan hinzu: „Bist du der Kerl, der Janitscharenaga sein will?“ Kampflos ergab Patrona sich nicht. Er riß das Seitengewehr aus der Scheide; aber nach einigem Schlagwechsel, in den niemand sich einmischte, erlag Patrona seinem Bimbaschi.
Mußli wurde ohne viel Umstände zusammengehauen.
Der Padischah sah nicht, was zu sehen unter seiner Würde gewesen wäre. Er befand sich nicht mehr im Saal.
Es blieben die Sechsundzwanzig, und mit ihnen erneuerte sich das Märchen Ali Baba. Unter dem Vorwande, sie mit den Gewändern ihrer neuen Würden und Ämter zu bekleiden, wurden sie zwei zu zwei eingeführt. Dreizehnmal vollzog sich die Wanderung des Ehrengeleites mit je zwei der Begnadeten vom Löwenhaus zum Köschk von Eriwan. Doch keiner der Eingeführten erreichte den Saal seiner Erhöhung. Alle starben sie vorher durch die Schärfe des Schwertes.
Zu diesem Sieg über die Rebellen wünschten die Minister dem Padischah Glück. Ein Schattscherif dankte den Janitscharen für ihre bewährte Treue, und - was die Hauptsache war - fünfzigtausend Piaster wurden unter Patronas Kameraden, dreißigtausend unter die Topdschi, die Artilleristen, und fünfunddreißigtausend unter die Dschebedschi, die Pioniere und Zeugschmiede, verteilt.
Kein Auge hatte in diesen Tagen der Entscheidung den Kislar in der Öffentlichkeit gesehen.
ZWEITES BUCH
15
Man konnte von einem Tal zwischen hohen blauen Bergen sprechen, von einer dörferumgebenen Stadt mit bekuppelten Moscheen und vielen strahldünnen Minaretts, mit dem Palast des Paschas, einem Basar und Kasernen - man konnte das alles bestaunen oder doch wenigstens ganz annehmbar finden. Aber ebenso möglich war es auch, die Straße als eine besonders gelungene Vorbereitung künftiger Genick- und Achsenbrüche zu bezeichnen, ihren Staub als eine Pest, die selbst den kümmerlichen Bäumen ihr bißchen Grün raube und andere unfreundliche Bemerkungen von sich geben. Wer das tat, kannte allerdings die kümmerlichen Bäume nicht. Sie waren nämlich Pflaumenbäume! und ergaben einen von Christen und Moslemin gleicherweise geschätzten und unbeschwerten Herzens genossenen Schnaps. Die christlichen Bosniaken hatten es dabei sehr leicht, weil Mohammeds Weinverbot sie nichts anging. Die Beschnittenen dagegen erklärten, daß von Pflaumen im Koran nichts stehe. Und so soffen sie auch. Die Türken schließlich hielten es ebenfalls nicht viel anders, und der feine Kavalier tat unrecht, den Bäumen nicht mehr Ehre zu erweisen; denn sie waren es, über die zwischen Gerechten und Ungerechten, Gläubigen und Ungläubigen völlige Übereinstimmung bestand, und Einstimmigkeit war ein rarer Artikel in diesem türkisch verbliebenen Teil der serbischen Lande, der dem früheren Königreich Bosnien entsprach. Sogar einen Namen hatte dieses Friedenswasser, das erwähnter Herr Graf so unglücklich war, nicht zu kennen - einen köstlichen Namen. Das Wasser hieß: Slibowitz.
Von einem Mann, dem eine derartige Unkenntnis nachgesagt werden mußte, war denn auch nicht viel zu erwarten. Das ansehnliche Dorf, in das er eingewiesen worden war, scheute er sich nicht, ein armseliges, gottverlassenes Nest zu nennen und das, obwohl es eine Kirche hatte!
Nicht gerade eine große, und einen neuen Anstrich hätte sie auch verdient; aber immerhin: eine Kirche. Und gottverlassen? In allen europäischen Hauptstädten war es hinreichend bekannt, daß dieser Herr sich aus dem lieben Gott herzlich wenig machte und - wie zu vermuten - umgekehrt auch. Gerade er hatte also nicht die geringste Ursache, eine derartig ehrenrührige Behauptung über sein Asyl aufzustellen. Denn ein Asyl war es, das er mit Bewilligung der Hohen Pforte in diesem Dorf einige Meilen von Serajewo genoß - er und sein
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