Der Eunuch
geschieht es durch die seidene Schnur, die in geschickten Händen den Tod schnell herbeiführt. Andere werden durch das Schwert gerichtet, das mit einem Blitzen den Kopf auf das Blutleder rollen läßt. Wieder andere werden an den Haken gehängt. Ich muß zugeben, daß die abendländische Art des Hängens, bei der man den Verurteilten von der Leiter stößt, den Vorzug verdient. Sie kürzt den Todeskampf ab; aber auch am Haken erlebt selten ein Mensch die nächste Minute. Ich rede nicht von Verbrechen. Die gibt es, wo Menschen sich zusammenfinden. Die Gesetze, die sich die Völker geben, bestimmen ihren menschlichen Rang. Und Gesetz ist es in England, den lebenden Hochverrätern die Bäuche aufzuschlitzen und die Gedärme herauszuwinden. Allerdings nur in England. Aber im ganzen Abendland ist es gesetzlich möglich, einen Hinzurichtenden erst seiner Gliedmassen zu berauben, ehe man ihm den Kopf abschlägt. Man vierteilt Menschen, indem man vor Arme und Beine je zwei kräftige Pferde spannt und die dazu Verurteilten bei lebendigem Leibe in vier Teile zerreißen läßt. Man rädert. . .“
„Hören Sie auf, Beschir. Ich bitte Sie.“
„Seien Sie tapfer, Julienne“, sagte er bestimmt, wenn auch ohne Härte. „Es geht hier nicht um ein Damengespräch. Seien Sie tapfer und gerecht. Sie haben unsere Welt angegriffen und müssen sich nun auch die Antwort gefallen lassen, wenn Sie nicht zur Meute gemeiner Hetzer gehören wollen, die auf Menschenwürde keinen Anspruch haben. Oder ist etwas unwahr, was ich sagte?“
„Es ist wahr. Aber Sie sagen das alles so ganz anders, als ich es hörte. So, wie Sie es sagen, ist es schwer zu ertragen.“
„Es ist leichter zu ertragen, als auf ein Podest geschnallt zu werden, damit einem die Henkersknechte mit schweren Eisenzangen Arme, Schenkel, Beine und Brustkorb zerschmettern, um diesen Menschenstampf dann durch die Speichen eines Rades zu ziehen. Auf hoher Stange lassen sie das Rad lustig um sich selbst kreiseln. Und es muß gesagt werden, daß dieses Etwas, das einmal ein Mensch war, bei diesem Kreiseln in den meisten Fällen noch lebt. Das gefällt Ihnen nicht, Dame Julienne? Aber auch das ist das Schlimmste noch nicht. Oder meinen Sie, es sei leichter, bei lebendigem Leibe zu verbrennen und, wenn der Henker es so will, bei kleinem, schwelendem Feuer? Das geschah und geschieht euern Ketzern. Wir kennen nur einen Bekenner, der wegen abweichender Lehren getötet wurde. Es geschah auf Befehl Solimans des Gesetzgebers, und die Tat gilt den Gläubigen heute noch als ein Fleck auf seinem sonst so reinen Gesicht. Bei uns war es dieser eine Fall. Bei euch sind es Hundert- und Aberhunderttausende. Der König von Spanien und seine Königin fehlen nie bei den Festen der Qualen, die ihnen die christliche Kirche im Namen ihres Dreigöttergottes bereitet. Auch das Volk wird zu diesen Lustmorden geladen. Die Veranstalter verbergen sich dabei nicht in Höhlen und dunklen Gewölben - nein, sie setzen sich mit königlichem Prunk in die Sonne, und Königin und Prinzessinnen, feine Damen und Herren, geilen sich daran auf, wie Frauen, Männer, Kinder und Mädchen sich in den Flammen winden, wenn das gebratene Fleisch platzt und aus der Menschenmarter noch einmal das Gebrüll der Urwelt hervorbricht. - Das gilt von Ketzergerichten und der heiligen Inquisition. - Die Hexenverbrennungen sind mehr eine Belustigung für das ganze Volk. Selbst die kleinste Stadt, jedes Dorf will Hexen brennen. Bei uns teilte zu keiner Zeit jemals ein von Allah Erleuchteter diesen unmenschlichen abendländischen Aberglauben. Man lacht darüber, man entsetzt sich, und selbst die Unwissenden unter uns verlachen die klägliche, selbstgewollte Dummheit der Ungläubigen, die den widerlichsten Süchten als Mantel dienen muß. Durch diese Verleugnung jeder Vernunft werden der Raffgier und Rachgier, dem Geiz, der Lüsternheit eines Einflußreichen etwa, der eine Frau nackt im Folterkeller haben möchte, weit die Tore geöffnet. Die abgeschmacktesten Vorwände genügen zu einem Lustmordverfahren. Keine anständige Frau, kein noch so unbescholtenes Mädchen ist vor dem schmierigen Lustverlangen des verseuchten Volkes sicher, dem sie angehören.“
„Es geschieht nicht mehr so oft“, sagte Julienne leise.
„Es geschah täglich und kann heute noch jeden Tag geschehen“, erwiderte Beschir fest. „Und auch das geschieht nicht heimlich und als ein Verbrechen, sondern auf offenem Markt mit gesiegeltem Urteil und dem Segen der
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