Der Eunuch
Kirche Jesu, des Sohnes der Maria. Kaum einer des Volkes möchte fehlen, wenn die Armesünderglocke das Verbrechen gegen Allahs Gebote einwimmert. Kopf an Kopf stehen sie dann da, die Hausväter, Töchter und Mägde, Gesellen und Greise, die Geistlichen voran, die Ratsherren und Schöffen. Wollüstig atmen sie den Geruch verbrannten Fleisches, trinken sie die Qualschreie der Verbrennenden, saugen sie letztes Zucken einer Verendenden in sich ein. - Es geschieht nicht mehr so oft, sagen Sie? - Hören Sie nicht das Trappen vieler Füße in den Gassen? Das Volk kehrt heim und kriecht, Glieder und Brüste vor Geilheit prall, in die Betten. Was glauben Sie, Juliane vom Vorberg, könnte aus den Verschlingungen dieser Vertierten auf Jahrhunderte hinaus wohl anderes hervorkriechen als nur immer wieder ebensolche Vertierte? Mit einem Wort: Abendländer.“
Im einzelnen hatte Julienne schon selbst ähnliche Gedanken gehabt und sie sich nur nicht einzugestehen gewagt. Jetzt traten sie ihr zusammengeschlossen und offen entgegen und verlangten das, was die Menschen am meisten fürchten, eine Entscheidung. Doch immer noch suchte sie nach einem Ausweg.
Beschir war wieder ganz ruhig. Seine starke innere Anteilnahme, die sich soeben noch unmittelbar gezeigt hatte, wurde wieder von einer größeren Gelassenheit verdeckt, die Julienne nicht täuschte. Sie hatte einen Blick in das Feuer geworfen, das ihn beherrschte und vorantrieb, und diese Einsicht hatte ihn ihr menschlich näher gebracht. Angesichts einer Niederlage, deren sie sich bewußt war, kämpfte sie mehr um des Kampfes willen, als um zu verteidigen, was für sie nicht zu verteidigen war.
„Ich möchte Sie dennoch etwas fragen, Beschir“, sagte sie. „Sie sprachen vom Allerbarmer. Und doch wird den Mohammedanern geboten, ihren Glauben durch Feuer und Schwert zu verbreiten.“ Beschir lächelte.
„Meine liebe Julienne“, meinte er, „ich warne Sie vor theologisdien Gesprächen. Sie haben die Eigenschaft, so lange zu währen, bis niemand mehr weiß, worüber eigentlich geredet wurde. Würden Sie sich statt dessen an Tatsachen genügen lassen? - Sehen Sie, ich könnte Ihnen von diesem Fenster aus eine ganze Reihe christlicher Kirchen und Klöster zeigen, die sich auch in Kriegszeiten ungestörter Ruhe erfreuen. Das gleiche ist in allen größeren Städten des Osmanischen Reiches der Fall. Wir haben in Stambul einen griechischen, in Jerusalem einen römischen Patriarchen, die mit ihren Bischöfen die Gerichtsbarkeit über ihr Kirchenvolk ausüben, und die Kirchenherren der Armenier, der Jakobiten, der Kopten und anderer Konfessionen, die unter dem Schutze des Padischah dasselbe tun. Ich glaube, dies und vieles andere ist Duldsamkeit, wie denn auch der Koran nicht nur den Sohn der Maria zu den beglaubigten Propheten rechnet, sondern überhaupt einen Unterschied zwischen Heiden und Kindern des Buches macht, zu denen Christen und Juden gehören. Wissen Sie, was dagegen in Spanien geschah, nachdem der Islam dort achthundert Jahre geblüht hatte? Die Moslemin wurden ihrer Güter beraubt, davongejagt, ermordet, verbrannt, und selbst der letzte kümmerliche Rest, der das Meeresufer erreicht hatte, konnte nur mit Waffengewalt durch Chaireddin Barbarossas Schiffe nach Afrika gerettet werden. Heute finden Sie keinen Moslem in Spanien, allerdings auch nichts von der berühmten Universität von Cordova und nichts mehr vom Wohlstände, den Spanien einstmals besaß.“
„Dafür ist es katholisch ... nichts als katholisch ...“ „Abendländisch“, ergänzte Beschir. „Genügt Ihnen das nidit, Julienne?“
„Nein ...“ Zögernd machte sie einem Gegner, der in Wahrheit schon ein Beichtvater geworden war, dies Geständnis. „ Iich weiß gar nicht, was eigentlich hinter .heiligen' Worten in Wirklichkeit steckt. Jedenfalls kenne ich niemanden, der mir darüber eine überzeugende Auskunft gegeben hätte. Wenn ich, wie so viele vornehme Mädchen, in ein Kloster gesteckt worden wäre, dann wüßte ich wenigstens, wie Nonnen über diese Dinge denken. Aber ich fürchte sehr, daß ihr bißchen Nonnenverstand auch nur zur Verschleierung einer Leere reicht, und daß die frommen Jungfrauen bei mir zu ihrem letzten und stärksten Argument, nämlich zur Rute gegriffen hätten. Freilich gibt es nicht nur solche Klöster. Viele sind nichts anderes als Damenzirkel. Kein Mensch denkt dort daran, sich Kasteiungen zu unterziehen, die man höchstens in angemessener Entfernung bei den Heiligen
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