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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Wirkung geblieben. Fünftausend Dukaten hatte der Defterdar, der Schatzmeister, dafür hergeben müssen, und verteilt hatte sie Chalil Pehlewan, Chalil der Ringer oder Kämpfer. Er war ein tapferer, starker
    Mann und Oberst des siebenten Janitscharenregimentes, dem auch Patrona angehörte.
    Die Unterredung des Oberstlandrichters Sulali mit Kaplan Girai in Brusa hatte sich ganz anders ausgewirkt, als es von den Aufständischen vorgesehen war. Durch Kaplan wußten der Kislar, der Großwesir und der Mufti jetzt, daß sie beseitigt werden sollten, und daß Patrona mit seinen Freunden sich gleichzeitig der höchsten Kommandostellen in Heer und Flotte zu bemächtigen gedachten. Das also wußte der Kislar.
    Was wußte Patrona Chalil? Er wußte nichts. Er hatte keine Ahnung, was der Oberstlandrichter Sulali dem Krimkhan eröffnet haben mochte. Sulali war noch auf dem Wege nach Stambul. Außerdem sah Patrona in Kaplan Girai mehr einen ungeschickten Verbündeten als einen Gegner. Es hätte entscheidend sein können, wenn er darüber unterrichtet gewesen wäre, daß die Bedrohten und vor allem der Kislar seine Pläne kannte. Aber er wußte nur, daß man auch einer hohen Exzellenz oder einer Hoheit eine seidene Schnur umlegen könne, und das zu wissen war, wenn es sich um einen Menschen wie Beschir Aga handelte, etwas wenig.
    Zwei Tage später fand zum festgesetzten Termin des fünfundzwanzigsten November die zweite Versammlung statt. Dieses Mal wurde der Pfortendiwan selbst einberufen, und in der höchsten Versammlung des Reiches, die nur aus Wesiren und hohen Pfortenherren bestand, erschien Patrona wiederum inmitten seiner Getreuen. Zu allen Zeiten wäre das eine todeswürdige Dreistigkeit gewesen, und das war es auch jetzt. Aber niemand stellte Patrona zur Rede. Die Wirklichkeit war nämlich gar nicht mehr im Diwansaal - sie befand sich zur gleichen Zeit im benachbarten Saal der Fayencen, wo sich Chalil Pehlewan mit zweiunddreißig rüstigen Kriegern versteckt hielt.
    Nach der Annahme von Patronas Antrag, dem nunmehr auch die Hoheit des Khans zugestimmt hatte, verkündete der Großwesir die huldreiche Entschließung Seiner allerhöchsten Majestät, den besagten Patrona Chalil um seiner Tugenden und Verdienste willen als Beglerbey Rumili einzukleiden.
    Dieses Amt des Generalstatthalters der europäischen Provinzen war einst das des ersten Statthalters des Reiches gewesen. Inzwischen waren zivile Verwaltung und Militärwesen längst auf die einzelnen Provinzpaschas übergegangen, und aus dem Amt war eine Würde geworden, die, mit schönen Einkünften verknüpft, verdienten Männern verliehen wurde. Aber Patrona wollte keine Würde - er wollte Macht.
    „Ich nehme den Pelz nicht“, schrie er, als man sich ihm mit der zobelbesetzten Kapanidscha näherte, und wandte sich dann gegen den Großwesir: „Was willst du, Mohammed, der du deine Laufbahn im Bett machtest“, womit er andeuten wollte, daß Mohammed Pascha das Siegel als Sultan Ahmeds Schwiegersohn bekommen habe, „begnüge dich damit, deiner Frau Kinder zu machen; aber wo Männer handeln, da schweig! Ich begehre die Stelle des Janitscharenaga!“ Das war eine wüste Rede, wie sie unter der Kuppel der Wesire kaum je gehört worden war. Selbst Patronas Gefährten mißbilligten sie, während sie den Ministerialen gelegen kam, Gerade Patronas grobe Ungehörigkeit ließ den Antrag durchgehen, sich wegen der Kriegserklärung sofort ins Serail, also in die Gegenwart der Erhabenheit, zu begeben. Es war völlig ausgeschlossen, daß Patrona außer mit Mußli noch mit sechsundzwanzig weiteren Gefolgsleuten vor dem Padischah erscheinen konnte. An eine solche Möglichkeit dachte selbst Patrona nicht mehr. Die Sechsundzwanzig mußten in den nächsten Stunden im Saal des Löwenhauses verweilen, wobei jeder einzelne überzeugt war, seine frühere Macht auf dem Fleischmarkt bald mit einer staatlichen und daher legalen Machtstellung vertauscht zu haben. Dagegen begaben sich die Hoheiten des Großwesirs und des Khans, der hochwürdigste Mufti, der Kapudan Pascha und die Ulema mit Patrona und Mußli ins Köschk Eriwan.
    Von keinem Uneingeweihten war bemerkt worden, daß Chalil Pehlewan mit seinen zweiunddreißig eingeschworenen Janitscharen sich inzwischen durch das Tor der kalten Fontäne in den Saal der Sofawächter begeben hatte. In dem Augenblick, da Seine allerhöchste Majestät unter großem Vorantritt den Saal der Beratung betrat, brach der Großwesir an Stelle des traditionellen

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