Der Eunuch
zum Islam in einen Untertan des Sultans und damit in einen Gleichen unter Gleichen zu verwandeln. Der osmanische Staat hatte alle Ansätze zu einem Erbadel und zu wirklich feudalen Zuständen immer wieder beseitigt. Er kannte nur die Macht der geistlichen und weltlichen Ämter und über ihr die Sultansmacht. Aber Ursache und Ziel alles dessen, was Bonneval tat, war sein Haß gegen Österreich, ja das ganze Abendland, von dem er sich zurückgestoßen und in einem Erdenwinkel festgehalten fühlte, dem er nur Verachtung entgegenbringen konnte.
„Immer Hammelfleisch“, sagte er also, „können Sie denn gar nicht einmal etwas anderes auftreiben? Ich weiß schon - vermutlich mußten Sie es sich pumpen. Aber konnte es denn nicht auch etwas anderes als Hammelfleisch sein? Und überhaupt: war es denn gar nicht möglich, in Serajewo einen Vorschuß auf meine Tagegelder zu erlangen?“
Das ereignete sich im Garten hinter dem Flachdachhaus, der sich allerdings von Eugens Blumengärten bei Belvedere durch die mehr nahrhaften Pflanzen unterschied, die er enthielt, und von himmelwärts schießenden Fontänen durch einen Brunnen, in dessen Wasser sich nicht die Lichter farbig brachen, weil es, mit Mühsal ans Licht gezogen, einer braunen Brühe gleich sah, die sich freilich für Wasser ausgab. Der Mann aber, an den Bonneval seine Worte richtete, war sein Kammerdiener Lamira.
Bonneval hatte in gleichem Maß die Gabe, Menschen anzuziehen und abzustoßen - Lamira hatte er angezogen, aber er hatte ihn deswegen nicht unterjocht. Nicht einmal versucht hatte er es; denn da der Kammerdiener ebenfalls eine andere Gesellschaftsordnung als die feudale sich nicht denken konnte, so fühlte er sich keineswegs durch sie erniedrigt. Sie gab ihm seinen Platz und seinen Rang. Sein Herr war ein Graf, und er war der Kammerdiener - mehr Vasall als Diener nach Lamiras Meinung. Bonneval tat gut daran, sie zu respektieren, weil Lamira nach ihr seine Pflichten bemaß, die er weit höher als die eines einfachen Dieners anschlug. Beide standen in der Mitte ihres sechsten Jahrzehnts, und man konnte von einer Ähnlichkeit beider sprechen, woran Bonnevals Neigung zu körperlichen Rundungen nicht viel änderte; denn diese Ähnlichkeit bestand mehr in einer gewissen Großartigkeit von Lamiras Bewegungen und Formen, die ihm von Bonneval angeflogen waren, ohne daß er sie gesucht hätte. Jetzt machte er die Geste eines Mannes, der zu seinem Bedauern gezwungen ist, einen andern über mißliche Umstände aufzuklären.
„Herr Graf wünschen einen Vorschuß“, sagte er, „das ist begreiflich, ich wünsche ihn auch. Aber wenn man bei uns in Wien, Paris, Dresden, Madrid recht damit hätte, daß die Türken Barbaren seien, so könnte ich mich nicht enthalten, für die Klugheit dieser Barbaren die größte Hochachtung zu empfinden. Sie erkannten sofort, daß Herrn Grafs Besitz voraussichtlich keine Deckung biete und Herr Graf selbst auch keine Sicherheit darstellen.“
„Ich verstehe Sie nicht, Lamira. Sie sind doch sonst nicht schüchtern. Konnten Sie nicht darauf hinweisen, daß die zehn Piaster täglich mir von der Pforte als Lebensunterhalt ausgesetzt sind und daß ich keineswegs in den letzten Zügen liege?“
„Selbstverständlich wies ich darauf hin. Es lohnte sich auch. Denn die Antwort war lehrreich.“
„Dann lassen Sie sie hören!“
„Die Bewilligung könne am nächsten Tag zurückgezogen sein, sagten sie..."
„ Iich möchte wohl wissen, warum?“ rief Bonneval.
„... man lasse zwar keinen, der sich hilfeflehend der Hohen Pforte nahe, ungetröstet von dannen ziehen“, fuhr Lamira, ohne seines Herrn Einwurf zu beachten, fort, „aber wie nun, wenn sich der Getröstete nachträglich als unwürdig erweise? Die gleiche Frage sei für den Fall seines plötzlichen Abgangs durch Tod aufzuwerfen. In den bosnischen Bergen könne er sehr leicht erfolgen, und selbst innerhalb unseres Harems sei er nicht vollkommen ausgeschlossen. - Sie nannten diese Hütte den Harem des Herrn Grafen, obwohl wir außer Rostands Frau, die auch nicht mehr die Jüngste ist, Mädchen doch nur vorübergehend bei uns haben. Aber diese Leute aufzuklären, hat keinen Zweck. Was sie nicht hören wollen, hören sie nicht, und immer bleiben sie ruhig und gelassen. Auch auf die Möglichkeit einer Entführung wiesen sie hin ...“
„Nur auf die Möglichkeit von Bestechungen türkischer Beamter durch die Deutschen wiesen sie nicht hin!“
„Herr Graf irren. Auch von
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