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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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schweigenumhüllten Liebesnester der weiten Lagunen. Ganz Wohlwollen war Bonneval für die Stadt, die ihm zweimal zum Asyl geworden war. Daß er Venedig jedoch -weniger, um einem Übermaß des Abschiednehmens zu entgehen, als aus Vorbedacht - mit dem venezianischen Korfu als angebliches Ziel verlassen hatte, erwies sich als wohlgetan. Er wäre sonst nicht weit und gewiß nicht bis Ragusa gekommen, wo er sich unter der Suzeränität des Sultans in Sicherheit befunden hatte. Bonneval starrte freilich nur auf Österreich, und seinetwegen war er so besorgt bei jedem Trunk, den er tat, und jedem Bissen, den er aß Mochte aber sogar eine Entführung über die Donau und zu diesem Zweck die Bestechung türkischer Beamter nicht völlig unmöglich erscheinen, so hatte er, ohne es zu wissen, im abgelegenen Bosnien weniger zu fürchten, als in Konstantinopel, das seine Seele suchte und zu dem man ihm den Zutritt versagte. Nach einem so glanzvollen Leben wäre ein klang- und spurloses Verschwinden zwischen den bosnischen Bergen freilich ein trauriges Ende gewesen. In Konstantinopel aber hätte ihn weit eher noch das nicht rühmlichere durch den Dolch eines gekauften Bravos treffen können.
    Vielleicht zum erstenmal in seinem Leben war Bonneval zu bescheiden gewesen. Die venezianische Staatsinquisition hatte ihn höher eingeschätzt als er sich selbst. Diese Herren sahen bereits mit seiner Landung in Ragusa den Verlust ihres letzten Gebietes, nämlich Dalmatiens, vor Augen. Venedig hatte im vergangenen Krieg schon den griechischen Peloponnes an die Türken verloren. Das allein war schon hart genug. Aber eine etwaige Eroberung Dalmatiens durch die Türken wäre eine ständige Bedrohung der Stadt selbst gewesen, und diese Eroberung anzuregen und durchzuführen hielt man Bonneval für fähig. Das Kollegium der Staatsinquisitoren sprach daher ein geheimes Todesurteil gegen ihn aus und beauftragte den Bailo, den venezianischen Gesandten bei der Pforte, für dessen Vollstreckung zu sorgen.
    ,Mögen Eure Exzellenzen', mußte der Würdenträger den Herren Inquisitoren aber schreiben, ,mir Zeit lassen. Es handelt sich bei diesem Auftrag um sehr delikate Operationen, die sorgfältig vorzubereiten sind und für die man eine günstige Konstellation abwarten muß.' Bonnevals Anwesenheit in Konstantinopel wäre eine solche ,günstige Konstellation' gewesen. Während sein stürmisches Temperament ihn alle Qualen des Wartens erleiden ließ, hatte er ein Glück, das er nicht ahnte und das dennoch alle seine Enttäuschungen übertraf.
    Wie an etwas Selbstverständliches hatte Bonneval an die Unterstützung seiner Pläne durch Frankreich geglaubt, zumal sie so ganz der Politik entsprachen, die das Königreich betrieben hatte und zu betreiben immer geneigt sein würde. Aber Kardinal Fleury, Ludwigs XV. höchst mittelmäßiger Premier, hatte eine entsprechende Angst, dem Vatikan durch eine enge Verbindung mit den Türken zu mißfallen. Mochte der Herr Gesandte auch voraussehen, daß der beleidigte Bonneval, falls es ihm gelingen sollte, sich bei den Türken einzunisten, ein ernstes Hindernis für ein bündnisloses Zusammenarbeiten der Türkei mit Frankreich werden würde - er hatte den Befehl, dessen beide Briefe unbeantwortet zu lassen, auch den letzten, in dem Bonneval mit seinem Übertritt zum Islam gedroht hatte.
    Für einen christlichen Edelmann wie den Gesandten Marquis de Villeneuve war das eine kaum glaubliche Drohung, zumal gegenüber einem Kardinal Fleury. Damit hatte Bonneval auch gerechnet; aber sonst bedeutete ein Kardinal Fleury, schon dessen geringen Herkommens wegen, ihm gar nichts, mochte der Kardinal immerhin der Erste Minister Frankreichs sein, und ebenso erging es Herrn von Villeneuve, dessen Familie es mit den Coussac-Bonnevals an Alter und Vornehmheit der Familienverbindungen tatsächlich nicht aufnehmen konnte. Alles andere aber zählte für Bonneval nicht. Dieser kühne, kluge und ungewöhnlich gebildete Mann war seinen Überzeugungen nach noch immer einer der alten Feudalherren, wie seine Vorfahren es gewesen waren. Alle seine Konflikte entsprangen dem Mißvergnügen über die in Frankreich stetig wachsende Beamtenmacht, die vom Amt und nicht von der Herkunft des Stelleninhabers ausging. Für ihn blieb Fleury immer dieser ,Steißtrommler', weil er seines Königs Erzieher gewesen war, und Villeneuve ,dieser kleine Parvenü'. Mit einer solchen Gesinnung wäre es eigentlich nicht zu vereinbaren gewesen, sich durch den Übertritt

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