Der ewige Gaertner
bekommen. Er musste erst im Außenministerium anrufen und sagen, wir bräuchten eins für die Akten. Rob hat Freunde an Stellen, wo wir eigentlich gar keine Freunde haben dürften, stimmt’s, Rob?« Keine Antwort. »Die Ausweise sind nicht perfekt, weil Robs Freunde zu wenig Zeit hatten, nicht wahr, Rob? Benutzen Sie sie also nicht zur Ein- und Ausreise in England. Abgemacht?«
»Ja«, sagte Justin.
»Sie sind Peter Paul Atkinson, Zeitungsreporter. Und tragen Sie niemals zwei Pässe auf einmal bei sich, egal, was Sie vorhaben.«
»Warum machen Sie das?«, fragte Justin.
»Und was interessiert Sie das?«, entgegnete Rob wütend aus dem Dunkel. »Wir hatten eine Aufgabe zu erledigen, das ist alles. Und es hat uns gar nicht gefallen, dass man sie uns weggenommen hat. Jetzt geben wir sie zum Verpfuschen an Sie weiter. Vielleicht dürfen wir ja, wenn die uns feuern, mal ab und an Ihren Rolls-Royce waschen.«
»Vielleicht machen wir es auch für Tessa.« Lesley ließ die Notentasche in seine Arme fallen. »Auf geht’s, Justin. Sie haben uns nicht getraut. Möglicherweise zu Recht. Aber wenn Sie es getan hätten, wären wir jetzt vielleicht am Ziel. Wo immer das sein mag.« Sie langte nach dem Türgriff. »Passen Sie auf sich auf. Die gehen über Leichen. Aber das haben Sie ja gemerkt.«
Justin entfernte sich und hörte noch, wie Rob in sein Mikrofon sprach. Candy kommt aus dem Kino . Ich wiederhole , Candy kommt aus dem Kino , hat ihre Handtasche dabei . Die Tür des Minibusses schlug hinter ihm zu. Abgeschlossen , dachte Justin. Er ging noch ein Stück. Candy nimmt ein Taxi, und sie ist ein Mann.
***
Justin stand in Hams Büro am langen Schiebefenster und horchte auf das Zehn-Uhr-Läuten, das das nächtliche Dröhnen der Stadt übertönte. Er schaute auf die Straße hinunter, ein wenig vom Fenster abgerückt, so dass er zwar selbst gut sehen, seinerseits aber nicht so leicht gesehen werden konnte. Auf dem Schreibtisch brannte eine matte Leselampe. Ham hatte es sich in einem Ohrensessel in der Ecke bequem gemacht, den Generationen unzufriedener Klienten abgewetzt hatten. Draußen stieg kalter Nebel vom Fluss auf und bildete eine Reifschicht auf dem Zaun vor der winzigen Kapelle St. Etheldra, in der Tessa so oft mit ihrem Schöpfer gehadert hatte. Eine grün beleuchtete Anschlagtafel belehrte die Passanten darüber, dass die Kapelle der Ordenskongregation der Rosminianer zurückgegeben worden sei. Beichten, Segnungen und Hochzeiten nach Absprache. Einzelne Andachtsuchende huschten verspätet die Stufen zur Krypta hoch. Tessa war nicht dabei. Auf dem Fußboden stand Hams Plastikkorb mit dem ehemaligen Inhalt der Gladstone-Tasche. Tessas Notentasche lag auf dem Schreibtisch, und daneben stapelten sich die von Ham mit größtem Eifer zusammengestellten Ausdrucke, Faxe, Fotokopien, Telefonnotizen, Postkarten und Briefe, die sich im Laufe seiner Korrespondenz mit Tessa angesammelt hatten.
»Ziemliches Chaos, fürchte ich«, stellte Ham betreten fest. »Ich kann Tessas letzte E-Mails nicht finden.«
»Du kannst sie nicht finden? «
»Auch die von anderen Leuten nicht. Der Computer hat sich einen Virus eingefangen. Das verdammte Ding hat die E-Mails gelöscht und die halbe Festplatte geschluckt. Der EDV-Mann arbeitet noch dran. Wenn er etwas wiederherstellen kann, lass ich es dir zukommen.«
Sie hatten sich über Tessa unterhalten, dann über Meg und über Cricket, auch dies ein Gegenstand, an dem der großherzige Ham hing. Justin war kein Cricketfan, gab sich aber alle Mühe, ein wenig Begeisterung zu zeigen. Ein fleckiges Reiseplakat von Florenz hing im Halbdunkel.
»Beauftragst du immer noch diesen lahmen Kurierdienst, Ham, einmal die Woche Turin hin und zurück?«
»Aber klar, Alter. Ist natürlich geschluckt worden. Wie alles. Dieselben Leute, nur jetzt ein noch größeres Gemurkse.«
»Und du benutzt auch weiter diese hübschen Hutschachteln aus Leder mit dem Firmennamen drauf, die ich heute Morgen in deinem Safe gesehen habe?«
»Die wären das Allerletzte, was hier verschwindet, wenn’s nach mir geht.«
Justin spähte nach unten auf die schwach erleuchtete Straße. Sie waren noch da: die korpulente Frau in ihrem unförmigen Mantel und der hagere Mann mit den O-Beinen eines Jockeys, seinem verdrückten Filzhut und seiner Skijacke, deren Kragen er bis an die Nase hochgeschlagen hatte. Sie starrten seit zehn Minuten auf das Anschlagbrett von St. Etheldra, obwohl man alles, was dort an diesem eiskalten
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