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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Treppe hinab und rief sich selbst zur Ruhe, bevor er die Tür erreichte. Kevin, der Blumenjunge, war eine Figur wie aus einem Dickens-Roman: klein und mit von der winterlichen Kälte glänzend roten Wangen. Die Lilien und Iris, die er im Arm hielt, waren genauso groß wie er selbst. Ein weißer Umschlag war an dem Draht befestigt, der die Stengel zusammenhielt. Justin wühlte in einer Handvoll kenianischer Shillinge, fand zwei englische Pfund, gab sie dem Jungen und machte die Tür schnell wieder zu. Er öffnete den Umschlag und entnahm ihm eine weiße Karte, die in dickes Papier eingeschlagen war, damit die Schrift nicht durchschimmern konnte. Die Nachricht war mit Computer geschrieben worden.
     
    Justin, verlassen Sie das Haus heute Abend um halb acht. Nehmen Sie eine mit Zeitungen voll gepackte Aktentasche mit. Gehen Sie zum Cineflex-Palast in der King’s Road. Kaufen Sie eine Eintrittskarte für Kino zwei, und sehen Sie sich den Film bis neun Uhr an. Verlassen Sie den Saal durch den Seitenausgang (West), vergessen Sie die Aktentasche nicht. Halten Sie Ausschau nach einem blauen Minibus, der in der Nähe des Ausgangs parkt. Sie werden den Fahrer wieder erkennen. Verbrennen Sie dies.
     
    Keine Unterschrift.
    Justin untersuchte den Umschlag, hielt ihn an die Nase, schnüffelte an der Karte, konnte nichts riechen, wusste auch nicht, was er zu riechen erwartete. Er brachte Karte und Umschlag in die Küche, zündete sie mit einem Streichholz an und warf sie, den Gepflogenheiten des Sicherheitstrainings für Mitglieder des diplomatischen Dienstes gemäß, in die Spüle. Nachdem sie verbrannt waren, rührte er die Asche auseinander und bugsierte die Fetzen in den Ausguss. Er ließ das Wasser länger als nötig laufen. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, stieg er wieder die Treppen hinauf, bis er zum Dachboden gelangte. Nicht Eile war es, die ihn antrieb, sondern Entschlossenheit: nicht denken , handeln . Er stand vor der verschlossenen Dachbodentür. Hielt einen Schlüssel bereit. Er wirkte energisch, aber auch besorgt: ein verzweifelter Mann, der Mut sammelte für den großen Sprung. Justin warf die Tür auf und marschierte in den winzigen Flur, von wo aus man in eine Reihe von Dachgeschossräumen kam, ausgebaut zwischen den von Dohlen behausten Schornsteinköpfen und einigen geheimen Abschnitten flachen Dachs, ideal für Topfpflanzen und ungestörten Sex. Justin stürmte vorwärts, die Augen fest zusammengekniffen, um sich vor den gleißenden Erinnerungen zu schützen. Kein Gegenstand, kein Bild, kein Stuhl und kein Winkel, den Tessa nicht eingenommen, den sie nicht bewohnt, von dem aus sie nicht zu ihm sprach. Der pompöse Sekretär ihres Vaters, den sie Justin zur Hochzeit vermacht hatte, stand in der vertrauten Nische. Justin öffnete den Deckel. Und, was habe ich dir gesagt? Durchwühlt. Er riss Tessas Kleiderschrank auf und fand Wintermäntel und Kleider, die von den Bügeln gezogen und mit nach außen gekrempelten Taschen ihrem Schicksal überlassen worden waren. Wirklich, Liebes, du hättest sie aufhängen können. Du weißt genau , dass ich das getan habe und dass jemand anders sie runtergerissen hat . Darunter förderte er Tessas alte Notentasche zutage, die von allen Dingen im Haus am ehesten als Aktentasche durchging.
    »Lass uns dies zusammen tun«, sagte er zu ihr, laut diesmal.
    Bevor er ging, nahm er sich noch die Zeit, sie heimlich durch die offene Schlafzimmertür zu beobachten. Sie war aus dem Badezimmer gekommen und stand nackt vor dem Spiegel, den Kopf zur Seite gedreht, während sie ihr nasses Haar kämmte. Einer ihrer nackten Füße war wie der einer Ballerina auf ihn gerichtet, was sie eigentlich immer tat, wenn sie nackt war. Eine Hand hatte sie zum Kopf geführt. Als Justin sie ansah, fühlte er dieselbe unbeschreibliche Entfremdung von ihr, die er auch empfunden hatte, als sie noch lebte. Du bist zu vollkommen, zu jung, erklärte er. Ich hätte dir deine Freiheit lassen sollen. Blödsinn , erwiderte sie lieb, und gleich war ihm viel wohler.
    In der Küche im Erdgeschoss fand er einen Stapel alter Ausgaben von Kenyan Standard , Africa Confidential , The Spectator und Private Eye . Er stopfte sie alle in die Notentasche, ging in die Diele zurück und warf einen letzten Blick auf die behelfsmäßige Gedenkstätte und die Gladstone-Tasche. Ich lasse sie am besten da, wo die sie gleich finden, falls sie mit ihrer Arbeit heute Morgen im Ministerium nicht zufrieden waren, erklärte er Tessa und

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