Der ewige Gaertner
Kiefernnadeln. Die Bäume teilten sich, der Himmel hellte sich auf, und es war beinahe wieder Tag. Unterhalb von Justin, am Fuße einer Lichtung, lag eine Gruppe alter Bauernhäuser. Die werde ich nie verkaufen , und die vermiete ich auch nicht , hast du mir erklärt, als du mich zum ersten Mal hierher geführt hast. Ich werde sie Leuten geben , die mir wichtig sind , und später verbringen wir hier unseren Lebensabend .
Nachdem er den Jeep abgestellt hatte, wanderte Justin durch nasses Gras auf das nächst gelegene Häuschen zu. Es war ein hübsches, flaches Gebäude mit frisch gekalkten Wänden und alten, rosafarbenen Dachziegeln. In den unteren Fenstern brannte Licht. Er hämmerte kräftig an die Tür. Eine von einem Holzfeuer stammende Rauchwolke stieg im Schutz des Waldes bedächtig aus dem Schornstein empor, bis sie schließlich doch vom Wind ergriffen und verweht wurde. Zerzauste schwarze Vögel zogen schimpfend ihre Kreise. Die Tür öffnete sich, eine Bäuerin mit knallbuntem Kopftuch stieß einen Schmerzensschrei aus, senkte den Kopf und flüsterte etwas in einer Sprache, von der er wusste, dass er sie nicht verstand. Den Kopf noch immer gesenkt, den Körper seitwärts gedreht, ergriff sie Justins Hand und drückte sie sich abwechselnd an die Wangen, bevor sie andächtig seinen Daumen küsste.
»Wo ist Guido?«, fragte er auf Italienisch, während er ihr ins Haus folgte.
Sie öffnete eine Zimmertür. Guido saß an einem langen Tisch unter einem Holzkreuz, ein gebeugter, atemloser alter Mann von zwölf Jahren, spindeldürr, mit ruhelosen Augen im bleichen Gesicht. Seine abgezehrten Hände ruhten unbeschäftigt auf dem Tisch, und es fiel schwer, sich vorzustellen, was Guido bis eben getan haben mochte. Er war allein in dem niedrigen dunklen Zimmer, an dessen Decke sich Balken entlangzogen, er las nicht, spielte nicht, starrte nur ins Leere. Den schmalen Kopf zur Seite gelegt, beobachtete er mit offenem Mund, wie Justin das Zimmer betrat, dann erhob er sich, wankte, am Tisch Halt suchend, auf Justin zu und machte einen Satz, um ihn zu umarmen. Er hatte jedoch zu kurz gezielt, und seine Arme sanken kraftlos nach unten, als Justin ihn auffing und festhielt.
»Er will sterben, wie sein Vater und die Signora«, klagte seine Mutter. »›Alle guten Menschen sind im Himmel‹, sagt er. ›Alle schlechten Menschen bleiben hier.‹ Bin ich ein schlechter Mensch, Signor Justin? Sind Sie etwa ein schlechter Mensch? Hat die Signora uns aus Albanien geholt, seine Behandlung in Mailand bezahlt und uns in dieses Haus gebracht, damit wir vor Trauer um sie sterben?« Guido verbarg sein eingefallenes Gesicht in den Händen. »Erst fällt er in Ohnmacht, dann geht er ins Bett und schläft. Er isst nichts, nimmt seine Medizin nicht. Geht nicht zur Schule. Heute Morgen habe ich, gleich als er ins Bad gegangen ist, sein Zimmer abgeschlossen und den Schlüssel versteckt.«
»Und es ist sehr gute Medizin«, sagte Justin leise, die Augen auf Guido gerichtet.
Kopfschüttelnd begab die Mutter sich in die Küche, wo sie mit Töpfen klapperte und heißes Wasser aufsetzte. Justin führte Guido an den Tisch zurück und setzte sich zu ihm.
»Hörst du mir zu, Guido?«, fragte er auf Italienisch.
Guido schloss die Augen.
»Alles bleibt genauso, wie es war«, sagte Justin entschieden. »Deine Schulgebühren, der Arzt, das Krankenhaus, deine Medikamente, alles, was nötig ist, damit du gesund wirst. Die Miete, das Essen, deine Studiengebühren, wenn du auf die Universität gehst. Wir werden alles genauso machen, wie sie es für dich geplant hat. Wir dürfen doch ihre Erwartungen nicht enttäuschen, oder?«
Die Augen niedergeschlagen, dachte Guido einen Augenblick darüber nach, bevor er widerstrebend den Kopf schüttelte: Nein, das dürfen wir nicht, räumte er ein.
»Spielst du noch Schach? Sollen wir eine Partie machen?«
Nochmals ein Kopf schütteln, seltsam züchtig: Der Respekt vor Signora Tessas Andenken verbietet es, Schach zu spielen.
Justin nahm Guidos Hand und hielt sie fest. Dann schüttelte er sie sanft, wartete auf den Anflug eines Lächelns. »Und was machst du so, wenn du einmal nicht mit Sterben beschäftigt bist?«, fragte er auf Englisch. »Hast du die Bücher gelesen, die wir dir geschickt haben? Ich dachte, du wärst inzwischen ein Experte in Sachen Sherlock Holmes.«
»Mr Holmes ist ein großer Detektiv«, antwortete Guido, ebenfalls auf Englisch, aber ohne zu lächeln.
»Und was ist mit dem Computer, den
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