Der ewige Gaertner
HEILIG.
Der schlichte Bogen Schreibmaschinenpapier, den Justin in seinen zitternden Händen hielt, sollte niemandes Herz erweichen. Die Botschaft war in fetten schwarzen Lettern getippt, je gut einen Zentimeter hoch. Die Unterschrift fehlte, was nicht weiter überraschte. Die Rechtschreibung war, schon eher überraschend, einwandfrei. Und Justins Reaktion war so heftig, so von Vorwürfen erfüllt und leidenschaftlich, dass er für ein paar erschreckende Se kunden die Geduld mit Tessa verlor.
Warum hast du mir nichts davon gesagt? Es mir nicht gezeigt? Ich war dein Ehemann, angeblich dein Beschützer, dein Mann, deine verdammte bessere Hälfte!
Ich gebe auf. Ohne mich. Du erhältst eine Morddrohung, findest sie im Briefkasten. Du nimmst sie in die Hand. Du liest sie – einmal. Uff ! Dann hältst du sie, wenn es dir so geht wie mir, von dir weg, weil sie so ekelhaft ist, so körperlich abstoßend, dass du sie nicht in der Nähe deines Gesichts ertragen kannst. Aber du liest sie noch einmal. Und noch einmal. Bis du sie auswendig kennst. So wie ich.
Und was machst du dann? Rufst du mich an – »Liebling, etwas Furchtbares ist passiert, du musst sofort nach Hause kommen«? Springst du ins Auto? Fährst wie der Teufel zum Hochkommissariat, wedelst mit dem Brief vor meiner Nase und marschierst mit mir in Porters Büro? Ja, von wegen! Nichts von alledem. Zu stolz bist du, wie üblich. Du zeigst mir den Brief nicht, du sagst mir nichts davon, du verbrennst ihn nicht. Du hältst ihn geheim. Du legst ihn zu den Akten. Verbirgst ihn tief in einer Schublade deines Schreibtisches, wo ich nichts zu suchen habe. Mich hättest du dafür ausgelacht: Und doch ordnest du den Brief in deine Unterlagen ein und wahrst genau die vornehme Diskretion, für die du mich gern verspottet hast. Wie du es danach noch mit dir aushalten konntest – wie du es mit mir aushalten konntest –, das weiß der Himmel. Der weiß vielleicht auch, wie du mit dieser Drohung leben konntest, aber das ist deine Sache. Also danke. Vielen Dank, okay? Danke für diesen höchsten Beweis an ehelicher Apartheid. Bravo. Und nochmals danke.
Sein Zorn verrauchte so schnell, wie er gekommen war, und zurück blieben heiße Scham und Reue. Du konntest sie nicht ertragen, nicht wahr? Die Vorstellung, jemandem diesen Brief tatsächlich zu zeigen. Und damit einen Erdrutsch auszulösen, den du nicht mehr unter Kontrolle gehabt hättest. Das Zeug über Bluhm, das Zeug über mich. Es war einfach zu viel. Du hast uns davor beschützt. Uns alle. Aber ja. Hast du Arnold davon erzählt? Natürlich nicht. Er hätte versucht, ihn dir auszureden, deinen Entschluss weiterzumachen.
* **
Justin wandte sich wieder ab von dieser wohlwollenden Interpretation.
Zu nett, zu harmlos. Tessa war zäher, härter. Und wenn sie in Rage war, auch richtig gemein.
Denk an den Verstand der Anwältin in ihr. Den eiskalten Pragmatismus. Denk an die knallharte junge Frau, die Blut sehen will.
Tessa wusste, dass sie auf der richtigen Spur war. Die Morddrohung war der Beweis. Man stößt keine Morddrohungen aus, wenn man sich nicht bedroht fühlt.
An diesem Punkt »Foul« zu schreien, hätte bedeutet, sich in die Hände der Behörden zu begeben. Die Briten waren hilflos. Sie hatten keinerlei Amtsgewalt, keine Gerichtsbarkeit. Also blieb ihr nur, den Brief den kenianischen Behörden zu zeigen.
Aber zu denen hatte Tessa kein Vertrauen. Es war ihre vielfach geäußerte Überzeugung, dass die Fangarme von Mois Regierung bis in den letzten Winkel des kenianischen Lebens reichten. Tessa setzte all ihr Vertrauen, auch mit Rücksicht auf Justins Stellung, in die Briten: Siehe ihr heimliches Stelldichein mit Woodrow.
Wäre sie zur kenianischen Polizei gegangen, hätte sie dort erst einmal eine Liste ihrer Feinde erstellen müssen, der realen wie der potenziellen. Die Verfolgung des großen Verbrechens wäre mit einem Schlag beendet gewesen. Sie wäre gezwungen worden, die Jagd abzublasen. Darauf hätte sie sich nie eingelassen. Das große Verbrechen war ihr wichtiger als ihr eigenes Leben.
Nun, das ist es mir auch. Wichtiger als meins.
***
Während Justin noch darum ringt, sein inneres Gleichgewicht wieder zu finden, fällt sein Blick auf einen von Hand adressierten Umschlag, den er in einem anderen Leben in blinder Hast aus derselben Schublade gezogen hat wie die leere Dypraxa-Schachtel. Die Handschrift kommt ihm bekannt vor, aber ihm fällt nicht ein, zu wem sie gehört. Der Umschlag ist
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