Der ewige Gaertner
aufgerissen. Darin steckt ein einzelner, gefalteter Bogen des amtlichen blauen Briefpapiers des Hochkommissariats. Die Schrift darauf ist fahrig, die Worte rasch hingeschrieben, getrieben von Eile wie von Leidenschaft.
Tessa , meine Liebe , die ich über alles liebe und immer lieben werde ,
während ich hier sitze und schreibe , ist dies das Einzige , was ich absolut sicher weiß , die eine Selbsterkenntnis , der ich mir gewiss bin . Du hast mich heute schrecklich behandelt , allerdings nicht so schrecklich wie ich dich . Wir waren nicht wir selbst bei diesem Gespräch . Ich begehre dich und bete dich an , so sehr , dass ich es kaum noch ertragen kann . Ich bin bereit , wenn du es bist . Lass uns unsere lächerlichen Ehen hinschmeißen und weglaufen , wohin du willst und wann du willst . Und wenn es bis ans Ende der Welt sein soll : um so besser . Ich liebe dich , ich liebe dich , ich liebe dich .
Diesmal fehlte die Unterschrift nicht. Klar und deutlich stand sie da, die Größe der Buchstaben durchaus mit denen der Morddrohung vergleichbar: Sandy. Ich heiße Sandy, wollte er damit sagen, und du kannst es ruhig der ganzen verdammten Welt erzählen.
Datum und Uhrzeit waren ebenfalls festgehalten. Selbst in der größten Liebesqual blieb Sandy Woodrow ein gewissenhafter Mensch.
ZWÖLFTES KAPITEL
J ustin, der betrogene Ehemann, steht regungslos im Mondschein und starrt auf den silbrigen Meereshorizont. In tiefen Zügen atmet er die kalte Nachtluft. Ihm ist, als hätte er etwas Übles gerochen und müsste seine Lungen reinigen. Sandy macht aus Schwäche Stärke , hast du mir mal gesagt. Sandy täuscht erst sich und dann uns alle … Sandy ist der Feigling , der sich hinter großen Gesten und großen Worten verstecken muss , weil er sonst vollkommen schutzlos dastehen würde …
Aber wenn dir das alles wirklich bewusst war, was in Gottes Namen hast du denn getan, um dir das hier einzubrocken, fragte er das Meer, den Himmel und den peitschenden Nachtwind.
Überhaupt nichts , erwiderte sie gelassen. Sandy hat mein Flirten mit einem Versprechen verwechselt , genauso wie er deine guten Manieren mit Schwäche verwechselt .
Dennoch lässt Justin es zu – fast scheint es wie ein Luxus, den er sich gestattet-, dass ihm für einen Moment das Zutrauen schwindet, wie es ihm ja auch in Arnolds Fall, im tiefsten Innern seines Herzens, mitunter geschwunden ist. Doch da regt sich etwas in seiner Erinnerung. Etwas, das er am Tag zuvor gelesen hat, am Abend, oder sogar noch einen Abend davor. Aber was war es? Ein Ausdruck, Tessa an Ham. Eine lange E-Mail, die Justin auf den ersten Blick zu intim erschienen war und die er deshalb zunächst in einem Ordner abgelegt hat, der jenen Rätseln gewidmet ist, die er in Angriff nehmen will, sobald er sich stark genug dazu fühlt. Er kehrt zurück in den Ölraum, gräbt den Ausdruck aus und prüft das Datum.
E-Mail-Ausdruck Tessa an Ham, abgeschickt exakt elf Stunden nachdem Woodrow, gegen die Dienstvorschrift über die Verwendung amtlichen Briefpapiers verstoßend, der Frau eines Kollegen seine Liebe erklärt hat.
Ich bin kein kleines Mädchen mehr, Ham, und es wird Zeit, dass ich allem M ä dchengetue abschw ö re, aber welches M ä dchen macht das schon, selbst wenn es einen dicken Bauch hat? Und jetzt habe ich mir auch noch einen F ü nf-Sterne-Widerling angelacht, der schart auf mich ist. Das Problem ist, dass Arnold und Ich endlich auf Gold gesto ß en sind – genauer gesagt: auf Unrat, und zwar von der ü belsten Sorte –, und wir sind dringend auf besagten Widerling angewiesen, der an den Schaltstellen der Macht ein Wort f ü r uns einlegen soll, denn das i st der einzige Weg, den ich als Justins Frau und als die loyale Britin, die ich trotz allem sein will, einschlagen kann. H ö re ich dich sagen, ich sei noch immer das skrupellose Luder, dem es Spa ß macht, M ä nner am G ä ngelband zu haben, egal ob es Widerlinge sind oder nicht? Nun, sag es nicht, Ham. Sag es nicht, selbst wenn es wahr sein sollte. Halt einfach den Mund. Denn ich muss meine Versprechen halten, genau wie du, mein Lieber. Und ich brauche dich treuen alten Kumpel, der zu mir h ä lt und mir erkl ä rt, dass ich im Grunde ein liebes M ä dchen bin, denn das bin ich. Und wenn du das nicht tust, geb ich dir den feuchtesten Kuss, den du je gekriegt hast, seit ich dich in deinem Matrosenanzug In den Rubicon gesto ß en habe. Alles Liebe, mein Schatz. Ciao. Tessa.
PS: Ghita sagt, ich sei eine Hure.
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