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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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einer Laune heraus an der Rezeption, ob Post für ihn da sei. Nein, nichts. In seinem Zimmer riss er die belastende Seite aus dem Notizbuch, dann die Seite dahinter, weil die Schrift sich durchgedrückt hatte. Er verbrannte die Blätter im Waschbecken und schaltete die Lüftung ein, um den Rauch loszuwerden. Dann lag er auf dem Bett und fragte sich, was wohl Spione machten, um die Zeit totzuschlagen. Er nickte ein und wurde vom Telefon geweckt. Er nahm ab und erinnerte sich, dass er »Atkinson« sagen musste. Es war die Frau von der Rezeption, »zur Kontrolle«, sagte sie mit der Bitte um Entschuldigung. Was kontrolliert sie , um Himmels willen? Aber Spione stellen solche Fragen nicht laut. Sie machen sich nicht verdächtig. Spione liegen in grauen Städten auf weißen Betten und warten.
    ***
    Bielefelds alte Burg, auf einem grünen Hügel gelegen, bot Aussicht auf wolkenverhangene Berge. Zwischen den efeubedeckten Wällen gab es Parkplätze, Picknickbänke und einen Stadtgarten. In den wärmeren Monaten ergingen sich die Bielefelder hier gerne auf den von Bäumen gesäumten Spazierwegen, bewunderten die riesigen Blumenbeete und labten sich an bierseligen Mahlzeiten im Restaurant Zum Jäger . Doch in den grauen Monaten wirkte die Anlage wie ein verlassener Spielplatz in den Wolken, und genauso kam es Justin an diesem Abend vor, als er das Taxi bezahlte und, da er noch zwanzig Minuten Zeit hatte, möglichst lässig umherspazierte, um den von ihm gewählten Treffpunkt auszukundschaften. Auf dem leeren Parkplatz vor den Befestigungsmauern stand das Regenwasser. Rostige Schilder auf sumpfigen Rasenflächen ermahnten ihn, seinen Hund an der Leine zu führen. Auf einer Bank unterhalb der Mauer saßen kerzengerade zwei alte Männer in Mantel und Schal und beobachteten ihn. Waren das die beiden Alten mit den schwarzen Filzhüten vom Morgen, die auf die Beerdigung gewartet hatten? Was starren die mich so an? Bin ich ein Jude? Bin ich ein Pole? Wie lange dauert es noch, bis euer Deutschland nur ein langweiliges Land von vielen in Europa ist?
    Ein einzelner Weg führte zu der Burg, und den schlenderte er jetzt entlang, immer in der Mitte, um nicht in die mit Laub gefüllten Gräben zu geraten. Wenn sie kommt, warte ich, bis sie ausgestiegen ist, erst dann spreche ich sie an, beschloss er. Auch Autos haben Ohren. Aber Birgits Auto hatte keine Ohren, denn es war ein Fahrrad. Auf den ersten Blick sah sie aus wie eine gespenstische Reiterin, die mit wehendem Plastikumhang ihr widerspenstiges Ross über die Kuppe des Hügels trieb. Ihr fluoreszierender Harnisch erinnerte an das Kreuz der Kreuzritter. Langsam materialisierte sich die Erscheinung, und dann war sie kein geflügelter Engel mehr und auch kein atemloser Bote mit Neuigkeiten von der Schlacht, sondern eine junge Mutter, die ein Cape trug und Fahrrad fuhr. Und aus dem Cape ragte nicht ein Kopf, sondern zwei; der zweite gehörte ihrem blonden Söhnchen, das, in einen Kindersitz geschnallt, hinter ihr saß – und für Justins unerfahrenen Blick etwa achtzehn Monate auf der Richterskala maß.
    Der Anblick der beiden war für ihn so rundum angenehm, so unerwartet und erfreulich zugleich, dass er zum ersten Mal seit Tessas Tod wieder aufrichtig und ungezwungen lachen konnte.
    »Aber wie hätte ich so kurzfristig einen Babysitter bekommen sollen?«, fragte Birgit leicht verschnupft ob seiner Belustigung.
    »Aber nicht doch, nicht doch! Das macht doch nichts. Alles in Ordnung. Wie heißt er denn?«
    »Carl. Und Sie?«
    Das Elefantenmobile , das du Carl geschickt hast , ist toll … Ich wünsche dir , dass du ein so hübsches Baby bekommst wie Carl .
    Er zeigte ihr seinen auf den Namen Quayle ausgestellten Ausweis. Sie prüfte ihn eingehend, Name, Alter, Foto, und warf ihm zwischendurch freimütige Blicke zu.
    »Sie haben ihr geschrieben, sie sei waghalsig «, erklärte er und sah, wie die Skepsis in ihrer Miene einem Lächeln wich. Sie zog das Cape aus, legte es zusammen und ließ Justin das Fahrrad halten, damit sie Carl von seinem Sitz losschnallen konnte. Und nachdem sie Carl herausgehoben und auf den Weg gestellt hatte, nahm sie die Satteltasche ab und wandte Justin den Rücken zu, um sich von ihm ihren Rucksack packen zu lassen: Carls Flasche, ein Päckchen Zwieback, Ersatzwindeln, ein Tragegurt und zwei Schinken-Käse-Baguettes in Butterbrotpapier.
    »Haben Sie heute schon was gegessen, Justin?«
    »Nicht viel.«
    »Gut. Dann essen wir gleich etwas. Dann sind wir nicht so

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