Der ewige Gaertner
nervös. Carlchen, das machst du bitte nicht. Wir können los. Carl kann stundenlang spazieren gehen.«
Nervös? Wer ist denn hier nervös? Justin tat so, als studierte er die drohenden Regenwolken, reckte den Hals und drehte sich einmal langsam auf dem Absatz im Kreis. Sie waren noch da, die zwei alten Wachposten auf ihrer Bank.
***
»Ich weiß nicht, wie viel Material tatsächlich verschwunden ist«, klagte Justin, nachdem er Birgit die Sache mit Tessas Laptop erzählt hatte. »Ich habe den Eindruck, es müsste noch viel mehr E-Mails geben, die Sie beide sich geschrieben haben und die sie nicht ausgedruckt hat.«
»Über Lara Emrich haben Sie nichts gelesen?«
»Doch, dass sie nach Kanada ausgewandert ist. Aber immer noch für KVH arbeitet.«
»Sie wissen nichts über ihre jetzige Lage – über ihr Problem?«
»Sie hatte Streit mit der Kovacs.«
»Die Kovacs ist unwichtig. Lara Emrich hatte Streit mit KVH.«
»Weswegen denn?«
»Wegen Dypraxa. Sie glaubt, gewisse sehr gravierende Nebenwirkungen nachgewiesen zu haben. KVH streitet das ab.«
»Und wie hat KVH reagiert?«
»Bis jetzt haben sie nur ihren guten Ruf und ihre Karriere zerstört.«
»Das ist alles.«
»Das ist alles.«
Sie gingen eine Zeit lang schweigend weiter. Carl lief vor ihnen her, hob verfaulte Kastanien auf und musste ermahnt werden, sie nicht in den Mund zu stecken. Der Abendnebel wogte wie ein Meer um die Hügel, deren runde Kuppen als Inseln daraus hervorragten.
»Wann ist das passiert?«
»Es passiert noch immer. Sie ist von KVH entlassen worden, und dann auch noch von der Dawes University in Saskatchewan und von der Leitung des Dawes University Hospital. Sie hat versucht, in einer medizinischen Fachzeitschrift einen Artikel über ihre Forschungsergebnisse zu Dypraxa zu veröffentlichen, aber in ihrem Vertrag mit KVH gab es eine Vertraulichkeitsklausel, und deshalb hat man sie und die Zeitschrift verklagt und die Auslieferung verhindert.«
»Und Sie haben Tessa davon erzählt? Das hat sie sicher sehr aufgeregt.«
»Natürlich habe ich ihr das erzählt.«
»Wann?«
Birgit zuckte die Schultern. »Vor drei Wochen vielleicht. Oder zwei. Unsere Korrespondenz hier ist ebenfalls verschwunden.«
»Ihren Computer hat man also auch lahm gelegt?«
»Er wurde gestohlen. Bei dem Einbruch. Ich hatte Tessas Briefe nicht auf Diskette gespeichert und auch nicht ausgedruckt. So.«
So , stimmte Justin schweigend zu. »Irgendeine Vorstellung, wer das getan haben könnte?«
»Niemand hat das getan. Bei großen Firmen ist es immer niemand gewesen. Der Oberboss bespricht sich mit dem Unterboss, der Unterboss bespricht sich mit seinem Stellvertreter, der Stellvertreter spricht mit dem Chef der Sicherheitsabteilung, der spricht mit dem Unterchef, und der mit seinen Freunden, und die sprechen mit ihren Freunden. Und dann tun sie es. Nicht der Boss, nicht der Unterboss, nicht der Stellvertreter und nicht der Unterchef. Nicht die Firma. Eigentlich überhaupt keiner. Aber getan wird es trotzdem. Es gibt keine Papiere, keine Schecks, keine Verträge. Niemand weiß etwas. Niemand war da. Aber getan wird es.«
»Und was ist mit der Polizei?«
»Oh, unsere Polizei ist sehr fleißig. Wenn uns ein Computer abhanden gekommen ist, sollen wir’s der Versicherung melden und uns einen neuen kaufen, aber bloß nicht die Polizei damit belästigen. Haben Sie Wanza kennen gelernt?«
»Nur im Krankenhaus. Da war sie schon sehr krank. Hat Tessa Ihnen von Wanza berichtet?«
»Dass man sie vergiftet hat. Dass Lorbeer und die Kovacs sie im Krankenhaus besucht haben und dass ihr Baby überlebt hat, Wanza selbst aber nicht. Dass das Medikament sie getötet hat. Oder eine Kombination von Medikamenten. Vielleicht war sie zu dünn, hatte nicht genug Körperfett, um mit dem Medikament fertig zu werden. Vielleicht hätte sie überlebt, wenn sie ihr weniger gegeben hätten. Vielleicht schafft KVH es noch, die Pharmakokinetik zu optimieren, bevor sie das Zeug in Amerika verkaufen.«
»Das hat Tessa gesagt?«
»Ja. ›Wanza war bloß ein Versuchskaninchen. Ich habe sie geliebt, und man hat sie getötet. Tessa.‹«
Justin protestierte bereits. »Herrgott, Birgit, was ist mit Lara Emrich? Wenn sie, die das Medikament mit entwickelt hat, es als nicht sicher einstuft, dann muss doch –«
Birgit fällt ihm ins Wort. »Lara Emrich übertreibt. Fragen Sie die Kovacs. Fragen Sie KVH. Laras Beitrag zur Entwicklung des Dypraxa-Moleküls war absolut minimal. Die Kovacs war das
Weitere Kostenlose Bücher