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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Juwel von Ost-Saskatchewan, dessen akademisches Camelot: die Dawes University, ein geordnetes Potpourri aus mittelalterlichem Sandstein, kolonialem roten Backstein und Glaskuppeln. Justin erklomm die kleine Anhöhe und gelangte über einen Ponte Vecchio aus den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem Torhaus, das mit Türmchen und einem vergoldeten Wappen versehen war. Der Torbogen gewährte ihm freien Ausblick auf den makellosen mittelalterlichen Campus und die auf einem Granitsockel thronende Bronzestatue des Gründers der Universität, George Eamon Dawes junior: Minenbesitzer, Eisenbahnbaron, Lüstling, Landdieb, Indianermörder und Schutzpatron dieser Stätte.
    Er ging weiter. Er hatte den Reiseführer genau gelesen. Die Straße weitete sich zu einem Exerzierplatz. Der Wind wirbelte körnigen Staub vom Asphalt. Am anderen Ende stand ein mit Efeu bewachsener Pavillon, umrahmt von drei Zweckbauten aus Stahl und Beton, die von hohen, neonerleuchteten Fenstern in Scheiben geschnitten wurden. Ein Schild in Grün und Gold – Mrs Dawes’ Lieblingsfarben, wie es im Reiseführer hieß – gab auf Französisch und Englisch Auskunft: Universitätsklinik, Forschungsabteilung. Auf einem kleineren Schild stand: Ambulanz. Justin folgte ihm und gelangte unter ein verschnörkeltes Vordach aus Beton, unter dem sich eine Reihe von Schwingtüren befand, die von zwei stämmigen Frauen in grünen Mänteln bewacht wurden. Er wünschte ihnen einen guten Abend und wurde freundlich zurückgegrüßt. Mit unbewegter Miene – sein zerschundener Körper schmerzte vom Gehen, glühende Schlangen krochen ihm über Schenkel und Rücken – blickte er ein letztes Mal verstohlen zurück und ging dann die Stufen hinauf.
    In der hohen, marmornen Eingangshalle herrschte Begräbnisstimmung. Ein riesiges, abscheuliches Porträt von George Eamon Dawes junior in Jagdkleidung erinnerte ihn an die Eingangshalle des britischen Außenministeriums. An einer Wand zog sich der Empfangsschalter hin, besetzt von Männern und Frauen mit silbernen Haaren und grünen Jacketts. Gleich reden sie mich mit »Mr Quayle, Sir« an und sagen, was Tessa für eine wunderbare Frau gewesen ist. Er schlenderte eine kleine Einkaufszeile entlang. Dawes-Saskatchewan-Bank. Ein Postamt. Ein Dawes-Zeitungskiosk. McDonald’s, Pizza Paradise, ein Starbucks-Coffeeshop, eine Dawes-Boutique, in der Damenunterwäsche, Umstandskleidung und Bettjacken verkauft wurden. Er geriet an einen Kreuzungspunkt mehrerer Korridore, und aus allen Richtungen ertönte das Rattern und Quietschen von Rollwagen, das Brummen von Aufzügen, das blecherne Echo eiliger Schritte und das Piepsen von Telefonen. Ängstliche Besucher standen oder saßen herum. Angestellte in grünen Kitteln hasteten aus einer Tür heraus und verschwanden durch eine andere wieder. Keiner hatte goldene Bienen auf der Brusttasche.
    Neben einer Tür, auf der »Nur für Ärzte« stand, hing ein großes Mitteilungsbrett. Die Hände auf dem Rücken, eine Haltung, die Autorität bekunden sollte, studierte Justin die Anzeigen. Babysitter, Boote und Autos, Gesuche und Angebote. Zimmer zu vermieten. Freizeitangebote: Gesangsverein, Klub der Bibelleser, Dawes’ Diskussionsrunde für ethische Fragen, Schottentanzgruppe. Ein Anästhesist sucht einen braven braunen Rüden mittlerer Größe, mindestens drei Jahre alt, »muss sehr gut zu Fuß sein«. Dawes-Darlehensplan, Dawes-Ratenzahlungs-Aktionsprogramm. Eine Messe in der Dawes-Gedächtniskapelle zum Gedenken an Doktor Maria Kowalski – weiß irgendjemand, welche Art von Musik sie gern gehört hat, falls überhaupt? Listen mit Bereitschaftsärzten, Ärzten in Urlaub, Ärzten im Dienst. Und ein heiteres Plakat, demzufolge die Gratis-Pizza für die Medizinstudenten in dieser Woche mit freundlicher Empfehlung von Karel Vita Hudson in Vancouver geliefert wird – Und besuchen Sie doch sonntags einmal unseren KVH-Brunch und die Filmvorführung in der Haybarn-Disco ! Einfach das Einladungsformular ausfüllen , das jeder Pizza beiliegt , und schon erhalten Sie kostenlosen Eintritt zu einem unvergesslichen Erlebnis !
    Aber Dr. Lara Emrich, bis vor kurzem der Star der Universität, Expertin für multi- und nicht-resistente Tuberkulosestämme, ehemals von KVH gesponserte Dawes-Professorin und Miterfinderin des Wundermittels Dypraxa, wurde nirgends mit einem Wort erwähnt. Sie ging nicht in Urlaub, sie hatte keinen Bereitschaftsdienst. Ihr Name stand nicht in dem auf Hochglanzpapier

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