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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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hatte das Personal die Vorhänge zugezogen. Die drei Männer standen im Flur: Justin, Woodrow, Mustafa. Mustafa weinte leise. Woodrow konnte sein faltiges Gesicht erkennen, es war schmerzverzerrt, die weißen Zähne entblößt, und Tränen liefen ihm aus den Augenwinkeln über die Wangen. Justin hielt Mustafa bei den Schultern und sprach ihm Trost zu. Woodrow war mehr als verblüfft über diese unenglische Gefühlsbekundung, er fand sie geradezu anstößig. Justin zog Mustafa an sich, bis dessen bebendes Kinn auf seiner Schulter ruhte. Peinlich berührt, wandte Woodrow sich ab. Am Ende des Flurs waren aus dem Dienstbotentrakt weitere Schatten aufgetaucht: der einarmige, illegale ugandische Bauernjunge, der Justin im Garten half und dessen Namen Woodrow sich einfach nicht merken konnte, und eine junge Frau namens Esmeralda, ebenfalls illegaler Flüchtling, aber aus dem Süden des Sudan, die ständig Probleme mit Männern hatte. Tessa hatte einer rührseligen Geschichte genauso wenig widerstehen können, wie sie sich den örtlichen Vorschriften beugte. Mitunter hatte ihr Haus gewirkt wie eine panafrikanische Herberge für behinderte Obdachlose. Mehr als einmal hatte Woodrow Justin deswegen Vorhaltungen gemacht, doch es war, als redete er gegen eine Wand. Esmeralda war die Einzige, die nicht weinte. Dafür hatte sie diesen hölzernen Gesichtsausdruck, den Weiße oft für Ungehobeltheit oder Gleichgültigkeit hielten. Woodrow wusste, dass der Eindruck täuschte. Vertrautheit war es, was diese Miene ausdrückte. So geht es zu im wirklichen Leben. Nichts als Leid, Hass und Menschen, die einfach niedergemetzelt werden. Für uns ist dies der Alltag seit unserer Geburt, nicht aber für euch Wazungu.
    Justin schob Mustafa sanft beiseite und begrüßte Esmeralda mit einem doppelten Händedruck, für dessen Dauer sie ihre mit geflochtenen Zöpfen bedeckte Schläfe an die seine legte. Woodrow kam es vor, als würde ihm Einlass gewährt in eine Welt der Gefühle, von der er sich nie hätte träumen lassen. Würde Juma derart weinen, wenn Gloria die Kehle durchgeschnitten worden wäre? Den Teufel würde er tun. Oder Ebediah? Oder Glorias neues Dienstmädchen – wie hieß sie noch gleich? Justin drückte den ugandischen Straßenjungen an sich, strich ihm über die Wange, wandte dann allen abrupt den Rücken zu und ergriff mit der rechten Hand das Geländer der Treppe. Und als er sich daran nach oben zog, wirkte er für einen Augenblick wie der alte Mann, der er bald sein würde. Woodrow beobachtete, wie er den im Schatten liegenden Absatz erreichte und in jenem Schlafzimmer verschwand, das Woodrow nie betreten hatte, obwohl er es sich ungezählte Male insgeheim ausgemalt hatte.
    Allein zurückgeblieben, wusste Woodrow nicht recht weiter, fühlte sich bedroht, wie immer, wenn er Tessas Haus betrat: ein Junge vom Lande, der in die Stadt kommt. Wenn dies eine Cocktailparty ist, wie kommt es dann, dass ich die Leute nicht kenne? Und für wessen Anliegen sollen wir heute eintreten? In welchem Zimmer wird sie sein? Wo ist Bluhm? Höchstwahrscheinlich an ihrer Seite. Oder in der Küche, und bringt die Dienerschaft so zum Lachen, dass sie sich die Seiten halten müssen. Woodrow besann sich auf den Zweck seiner Anwesenheit und schlich durch den schwach erleuchteten Flur auf den Salon zu. Die Tür war nicht verschlossen. Die Morgensonne warf vereinzelte Strahlen zwischen den Vorhängen hindurch, beleuchtete die Schilde und Masken und die zerfransten, von Querschnittgelähmten handgewebten Überwürfe, mit denen Tessa das trostlose Regierungsmobiliar belebt hatte. Wie schaffte sie es bloß mit solchem Tinnef, alles so hübsch zu machen? Der gleiche Backsteinkamin wie bei uns, die gleichen holzverkleideten Stahlträger, die sich als Eichenbalken à la Good Old England ausgeben. Alles wie bei uns, nur kleiner, weil die Quayles kinderlos und einen Dienstgrad unter uns sind. Warum also sah Tessas Haus so aus, wie man es sich wünschte, und unseres wie dessen phantasielose hässliche Schwester?
    In der Mitte des Raums verharrte er, von der Macht der Erinnerung bezwungen. Hier habe ich gestanden und ihr Vorträge gehalten, der Tochter einer Contessa, hier neben dem hübschen Intarsientisch, den ihre Mutter so geliebt haben soll. Hier habe ich mich an die Rückenlehne des zerbrechlichen Satinholzstuhls geklammert und doziert wie ein viktorianischer Vater. Und Tessa dort drüben am Fenster, das Sonnenlicht schien geradewegs durch ihr Baumwollkleid

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