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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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würde sich Geld von Gloria leihen müssen, fragte sich nur, was für einen Grund er ihr dafür nenne sollte. Na ja, es war schließlich nur Geld. Ghitas Auto stand so weit wie möglich von der nächsten Straßenlaterne entfernt. Die Lampen waren aufgrund einer Stromsperre nicht an, aber man konnte nie wissen, ob sie nicht plötzlich wieder eingeschaltet wurden. Woodrow schätzte, dass er ungefähr achtzig Pfund in kenianischen Shilling bei sich hatte. Wie viel Schweigen ließ sich damit erkaufen? Ob er es mit Handeln versuchen sollte? Welche Druckmittel standen ihm als Käufer zur Verfügung? Wer garantierte ihm, dass der Kerl nicht in sechs Monaten oder sechs Jahren wieder die Hand aufhielt? Du musst Pellegrin anrufen, dachte er in einer Anwandlung von Galgenhumor: Sag dem alten Bernard, er soll die Zahnpasta wieder in die Tube zurückschieben.
    Es sei denn.
    Kurz vor dem Ertrinken griff Woodrow nach dem verrücktesten Strohhalm von allen.
    Ghita!
    Ghita hat den Brief gestohlen! Oder, wahrscheinlicher, Tessa hat ihn ihr zur Aufbewahrung gegeben! Ghita hat Mustafa geschickt, mich von der Party wegzulotsen, und jetzt will sie mich für die Sache bei Elena bestrafen. Ah , da ist sie ja ! Auf dem Fahrersitz. Wartet auf mich! Hat sich ums Haus geschlichen und in ihr Auto gesetzt: eine Untergebene, die mich erpressen will!
    Er schöpfte neuen Mut. Wenn es Ghita ist, kommen wir ins Geschäft. Die habe ich in der Hand. Vielleicht kommt sogar mehr als ein Geschäft dabei heraus. Ihr Wunsch, mir wehzutun, ist nur die Kehrseite eines ganz anderen, handfesteren Begehrens.
    Aber es war nicht Ghita. Wer auch immer die Gestalt sein mochte, es handelte sich unverkennbar um einen Mann. Also Ghitas Fahrer? Ihr Freund, der sie von der Party abholen will, damit kein anderer sich an sie ranmacht? Die Beifahrertür stand offen. Unter Mustafas leidenschaftslosem Blick kletterte Woodrow hinein. Bei ihm war es nicht so, als schlüpfte er in seinen Badeanzug. Eher kam es ihm vor wie auf dem Jahrmarkt, wenn er sich neben Philip in einen Autoskooter zwängte. Mustafa schlug die Tür zu. Der Wagen erbebte, der Mann auf dem Fahrersitz rührte sich nicht. Er war gekleidet wie manche Afrikaner in den Städten, die trotz der Hitze herumlaufen, als wären sie in Sankt Moritz: dunkler, wattierter Anorak, tief ins Gesicht gezogene Wollmütze. War das ein Schwarzer oder ein Weißer? Woodrow atmete ein, roch aber nichts von dem süßen Duft Afrikas.
    »Schöne Musik, Sandy«, sagte Justin leise, dann streckte er den Arm aus und ließ den Motor an.

ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    W oodrow saß seitlich an einem mit Schnitzereien verzierten Schreibtisch aus Teakholz, der fünftausend Dollar kosten sollte. Sein Ellbogen ruhte auf einem silbernen Tintenlöscher, der weniger kostete. Das Licht einer einzigen Kerze schimmerte auf seinem verschwitzten, mürrischen Gesicht. An der Decke über ihm reflektierten verspiegelte Stalaktiten die Kerzenflamme ins Unendliche. Justin stand etwas von ihm entfernt im Dunkeln; er lehnte an der Tür, wie Woodrow an seiner Zimmertür gelehnt hatte, damals, als er ihm die Nachricht von Tessas Tod überbrachte. Die Hände hielt er hinter dem Rücken verschränkt. Sie sollten ihm nicht in die Quere kommen. Woodrow starrte auf die Schatten, die vom Licht der Kerze an die Wände geworfen wurden. Er erkannte Elefanten, Giraffen, Gazellen, angreifende und ruhende Nashörner. Die Schatten an der Wand gegenüber waren ausnahmslos Vögel. Vögel, die auf Bäumen schliefen, Wasservögel mit langen Hälsen, Raubvögel, die kleinere Vögel in den Klauen hielten, riesige Singvögel mit eingebauten Spieluhren, die auf Baumstümpfen hockten, Preis auf Anfrage. Das Haus lag in einer Nebenstraße, auf einem bewaldeten Hang fünf Autominuten von Muthaiga entfernt. Niemand fuhr hier vorbei. Niemand klopfte ans Fenster, um herauszufinden, warum eine halbe Stunde nach Mitternacht ein angetrunkener Weißer in Smoking und aufgebundener Frackschleife in Ahmad Khans Afrika-und-Orient-Kunsthandlung saß und zu einer Kerze sprach.
    »Ist Khan ein Freund von Ihnen?«, fragte Woodrow.
    Keine Antwort.
    »Wo haben Sie dann den Schlüssel her? Oder ist er ein Freund von Ghita?«
    Keine Antwort.
    »Freund der Familie, nehme ich an. Ghitas Familie, meine ich.« Er zog ein seidenes Tuch aus der Brusttasche seines Smokings und wischte sich verstohlen ein paar Tränen von den Wangen. Doch schon drängten weitere nach, die er auch noch wegwischen musste. »Was soll

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