Der ewige Gaertner
Verschüchterte Hunde lecken liegen gebliebene Körner vom Boden.
***
Jamie und die anderen Assistentinnen haben sich zurückgezogen. Auf einen hohen Stab gestützt führt Lorbeer, der in diesem Moment die Autorität eines geistigen Lehrers ausstrahlt, Justin über die Landebahn, von den tukuls weg auf den bläulich schimmernden Rand eines Waldes zu. Hinter ihm drängen sich ein Dutzend Kinder. Sie zerren an der freien Hand des großen Mannes, hängen sich an ihn, knurren laut und hüpfen herum wie tanzende Elfen.
»Die Kinder halten sich für Löwen«, erklärt Lorbeer Justin und lässt sich von ihrem Gebrüll und Gezerre nicht aus der Ruhe bringen. »Vorigen Sonntag während der Bibelstunde ist Daniel so schnell von den Löwen verschlungen worden, dass Gott keine Chance hatte, ihn zu retten. Ich sage zu den Kindern: Nein, nein, ihr müsst Daniel von Gott retten lassen! So steht es in der Bibel! Aber sie behaupten, die Löwen sind viel zu hungrig, die können nicht warten. Erst müssen sie Daniel fressen, danach kann Gott seine Wunder vollbringen. Sonst sterben die Löwen, sagen sie.«
Sie nähern sich einer Reihe rechteckiger Schuppen am anderen Ende der Landebahn. Neben jedem Schuppen eine primitive Einfriedung, ähnlich einer Koppel. In jeder Einfriedung ein kleiner Hades Todgeweihter: Verdurstende, Verkrüppelte, Ausgemergelte. Frauen, die in stummer Qual stoisch auf dem Boden hocken. Von Fliegen bedeckte Säuglinge, so krank, dass sie nicht einmal mehr schreien können. Alte Männer, apathisch von Durchfall und Erbrechen. Zermürbte Sanitäter und Ärzte, die so behutsam wie möglich versuchen, diese Menschen irgendwie in einer Reihe aufzustellen. Nervöse Mädchen, die flüsternd und kichernd in einer langen Schlange stehen. Halbwüchsige Jungen, die verbissen miteinander kämpfen und nach denen ein Erwachsener mit einem Stock schlägt.
* **
Lorbeer und Justin – Arthur und sein Hofstaat folgen in einigem Abstand – haben eine strohgedeckte Ausgabestelle für Medikamente erreicht, die an einen ländlichen Pavillon erinnert. Lorbeer schiebt sich behutsam zwischen unruhigen Patienten hindurch und führt Justin zu einem Stahlgitter, das von zwei kräftigen Afrikanern in T-Shirts der Ärzte ohne Grenzen bewacht wird. Das Gitter wird geöffnet, Lorbeer stürmt hinein, nimmt den Homburg ab und zieht Justin hinter sich her. Eine weiße Sanitäterin und drei Helfer stehen hinter einer hölzernen Theke und sind damit beschäftigt, Arzneien zu mischen und abzuwiegen. Die Atmosphäre ist gespannt, scheint aber unter Kontrolle. Als sie Lorbeer eintreten sieht, blickt die Sanitäterin auf und grinst.
»Hi, Brandt. Wen haben Sie denn da Hübsches mitgebracht?«, fragt sie mit ausgeprägtem schottischen Akzent.
»Helen, darf ich vorstellen, das ist Peter. Er ist Journalist und wird der ganzen Welt erzählen, was für ein Haufen fauler Nichtsnutze ihr seid.«
»Hi, Peter.«
»Hi.«
»Helen ist Krankenschwester. Aus Glasgow.«
Auf den Regalen stapeln sich verschiedenfarbige Kartons und Glasgefäße bis unter die Decke. Justin lässt wie beiläufig den Blick darüber schweifen, sucht nach der vertrauten, rotschwarzen Schachtel mit dem freundlichen Logo, den drei goldenen Bienen, entdeckt aber keine. Lorbeer hat sich vor einem Regal aufgebaut und nimmt einmal mehr die Pose des Redners ein. Die Sanitäterin und ihre Helfer grinsen sich viel sagend an. Achtung, jetzt kommt’s wieder. Lorbeer hält ein großes Glas mit grünen Pillen hoch.
»Peter«, beginnt er ernst. »Jetzt zeige ich Ihnen den zweiten Rettungsanker Afrikas, nach der Operation Lifeline Sudan.«
Erzählt er das jeden Tag? Jedem Besucher? Ist das seine tägliche Buße? Hat er das auch Tessa erzählt?
»In Afrika leben achtzig Prozent der Aids-Kranken der ganzen Welt, Peter. Das ist eine vorsichtige Schätzung. Drei Viertel dieser Menschen erhalten keinerlei Medikamente. Zu verdanken haben wir dies den pharmazeutischen Unternehmen und ihren Dienern im amerikanischen Außenministerium, die jedem Sanktionen androhen, der es wagen sollte, seine eigene Billigversion von in Amerika patentierten Arzneimitteln herzustellen. Okay? Haben Sie das aufgeschrieben?«
Justin nickt ihm bestätigend zu. »Fahren Sie fort.«
»Die Pillen hier in diesem Glas kosten in Nairobi zwanzig US-Dollar pro Stück, in New York sechs, in Manila achtzehn. Wenn Indien demnächst mit der Herstellung einer chemisch identischen Pille beginnt, kostet das Stück nur noch sechzig
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