Der ewige Gaertner
hinein und lässt, während er isst und unablässig redet, den Blick unruhig über die Anwesenden schweifen. Wenn er auch gelegentlich den einen oder anderen am Tisch ins Auge fasst, zweifelt niemand daran, dass der wichtigste Empfänger seiner Weisheiten der Journalist aus London ist. Lorbeers erstes Gesprächsthema ist der Krieg. Nicht die Stammesfehden, die überall um sie her toben, sondern »dieser verdammt große Krieg«, der im Norden auf den Ölfeldern von Bentiu tobt und sich täglich weiter nach Süden ausbreitet.
»Diese Schweine in Khartum, die haben Panzer und Kanonenboote, Peter. Die reißen die armen Afrikaner in Stücke. Fahren Sie mal hin, sehen Sie sich das an, Mann. Wenn die Bomben noch was übrig lassen, schicken sie Bodentruppen, die besorgen den Rest, kein Problem. Die vergewaltigen und töten nach Herzenslust. Und wer hilft ihnen? Wer applaudiert am Spielfeldrand? Die Ölmultis!«
Seine empörte Stimme gewinnt die Oberhand. Die Gespräche in seiner Nähe können nur lauter werden oder verstummen, und die meisten verstummen.
»Die Multis lieben Khartum, Mann! ›Leute‹, sagen sie, ›wir respektieren eure feinen fundamentalistischen Grundsätze. Öffentliche Auspeitschungen, Hände abhacken: So was bewundern wir. Wir wollen euch helfen, so gut wir können. Ihr dürft unsere Straßen und Flughäfen benutzen, soviel ihr wollt. Hauptsache, ihr lasst nicht zu, dass diese faulen afrikanischen Schnorrer in den Städten und Dörfern sich dem großen Götzen Profit in den Weg stellen! Wir haben genau wie ihr in Khartum nur den einen Wunsch, Afrika von diesen Nichtsnutzen zu säubern! Hier, Leute, wir geben euch was von unseren hübschen Öleinnahmen ab, kauft euch noch ein paar Waffen davon!‹ Hast du gehört, Salvation? Peter, schreiben Sie noch mit?«
»Aber ja, jedes Wort, Brandt«, sagt Justin leise zu seinem Notizbuch.
»Die Multis nehmen dem Teufel die Arbeit ab, Mann! Eines Tages landen sie in der Hölle, und da gehören sie auch hin!« Er krümmt sich theatralisch, nimmt die großen Hände vors Gesicht und mimt einen Konzernchef, der am Tag des Jüngsten Gerichts vor seinen Schöpfer tritt. »›Das war nicht meine Schuld, Herr. Ich habe nur Anweisungen befolgt. Der große Götze Profit hat die Befehle erteilt!‹ Dieser Konzernchef ist derselbe, der einen erst nach Zigaretten süchtig macht und einem dann die Krebsbehandlung verkauft, die man sich nicht leisten kann!«
Er ist auch derselbe , der uns ungetestete Medikamente verkauft . Derselbe , der klinische Tests im Eilverfahren durchzieht und die Elenden dieser Erde als Versuchskaninchen missbraucht .
»Möchten Sie Kaffee?«
»Ja, gern. Vielen Dank.«
Lorbeer springt auf, nimmt Justins Suppentasse und spült sie, bevor er den Kaffee hineinschüttet, mit heißem Wasser aus einer Thermosflasche. Das Hemd klebt ihm am Rücken, darunter sind Wülste zitternden Fleischs zu sehen. Unterdessen redet er weiter. Er hat panische Angst vor der Stille.
»Haben die Leute in Loki Ihnen von dem Zug erzählt, Peter?«, schreit er, während er die Tasse mit einem Papiertuch abtrocknet, das er aus dem Müllsack hinter sich gezogen hat. »Von diesem verfluchten alten Zug, der dreimal im Jahr im Schritttempo hierher in den Süden kommt?«
»Leider nein.«
»Er fährt noch auf den alten Gleisen, die ihr Engländer damals verlegt habt, okay? Sieht aus wie in einem alten Film. Wilde Reiter aus dem Norden als Schutztruppe. Fährt von Norden nach Süden und beliefert alle Garnisonen Khartums, die an der Strecke liegen. Okay?«
»Okay.«
Warum schwitzt er so? Warum hat er einen so gehetzten , suchenden Blick? Welch rätselhafte Parallele zieht er zwischen diesem arabischen Zug und seinen Sünden?
»Mann! Dieser Zug! Zur Zeit steckt er zwischen Ariath und Aweil fest, zwei Tage Fußmarsch von hier entfernt. Wir können nur beten, dass Gott den Fluss noch weiter über die Ufer treten lässt, dann kommen die Schweine vielleicht nicht zu uns. Wo die auftauchen, bleibt niemand am Leben, sage ich Ihnen. Das ist wie der Weltuntergang. Die töten jeden. Keiner kann sie aufhalten. Die sind zu stark.«
»Von welchen Schweinen genau reden wir jetzt, Brandt?«, fragt Justin, der wieder in sein Notizbuch schreibt. »Ich glaube, ich habe den Faden verloren.«
»Welche Schweine? Die wilden Reiter, Mann! Glauben Sie, die werden dafür bezahlt, dass sie den Zug beschützen? Von wegen, Mann. Die kriegen keinen Pfennig. Die machen das gratis, aus purer Herzensgüte!
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