Der ewige Gaertner
jetzt nur noch ein gekränkter alter Mann. Tu mir das nicht an, scheint er zu sagen. Du bist doch mein Freund. Aber der gewissenhafte Journalist ist zu sehr mit seinen Notizen beschäftigt, als dass er ihm helfen könnte.
»Wer sich an Gott wenden will, muss erst einmal gesündigt haben«, sagt Lorbeer heiser. »Jeder hier hat sich an Gott um Erbarmen gewandt, glauben Sie mir.«
Aber seine Miene drückt immer noch Schmerz aus. Und Unbehagen. Es ist das Unbehagen in Erwartung schlechter Neuigkeiten, von denen er nichts wissen will. Als sie über die Landebahn zurückgehen, hält er sich demonstrativ an der Seite von Arthur, dem Vorsteher. Hand in Hand wie zwei Dinka schreiten die Männer dahin, der große Lorbeer, nun wieder mit seinem Homburg, und der spindeldürre Arthur mit der roten Baseballkappe.
***
Ein Palisadenzaun mit einem Schlagbaum als Eingang umgrenzt den Wohnbereich des Koordinators und seiner Assistenten. Die Kinder bleiben zurück. Nur Arthur und Lorbeer begleiten den erlauchten Gast auf dem obligatorischen Rundgang durch die Einrichtungen des Lagers. In der improvisierten Duschkabine hängt oben ein Eimer, der sich mit einer Schnur kippen lässt. Ein Regenwasserspeicher ist mit einer steinzeitlichen Pumpe verbunden, die von einem steinzeitlichen Generator angetrieben wird. All dies hat der große Brandt selbst erfunden.
»Eines Tages werde ich dafür Patent anmelden!«, verspricht Lorbeer mit allzu heftigem Zwinkern, das von Arthur pflichtschuldig erwidert wird.
Mitten in einem Hühnergehege liegt ein Sonnenkollektor. Die Hühner benutzen ihn als Trampolin.
»Beleuchtet das ganze Gelände, nur mit der Hitze des Tages!«, prahlt Lorbeer. Aber sein Monolog hat allen Schwung verloren.
Die Latrinen befinden sich am Rand der Einfriedung, eine für Männer, eine für Frauen. Lorbeer klopft an die Männertür, dann reißt er sie auf und zeigt auf ein übel riechendes Loch im Boden.
»Die Fliegen hier werden mit der Zeit gegen alles immun, womit wir sie bekämpfen!«, klagt er.
»Multiresistente Fliegen?«, sagt Justin lächelnd, und Lorbeer wirft ihm einen wütenden Blick zu, ehe ihm ein schmerzliches Lächeln gelingt.
Auf dem Weg über das Gelände bleiben sie einmal stehen und spähen in ein frisch ausgehobenes Grab von etwa vier mal anderthalb Metern. Eine Familie grüner und gelber Schlangen liegt zusammengerollt im roten Schlamm auf dem Grund.
»Das ist unser Luftschutzraum, Mann. Aber die Bisse der Schlangen hier sind schlimmer als die Bomben«, setzt Lorbeer seine Klage über die Grausamkeit der Natur fort.
Da Justin nicht reagiert, wendet Lorbeer sich ab, um mit Arthur über den Witz zu lachen. Aber der ist schon zu seinen Leuten zurückgegangen. Wie einer, der verzweifelt Freunde sucht, legt Lorbeer einen Arm um Justins Schultern und führt ihn in leichtem Marschtempo zum großen tukul in der Mitte des Geländes.
»Und jetzt müssen Sie den Ziegeneintopf probieren «, erklärt er entschlossen. »Unser alter Koch bereitet bessere Eintöpfe zu als die Restaurants in Genf! Hören Sie, Peter, Sie sind ein guter Mensch, okay? Sie sind mein Freund!«
Wen hast du da unten im Grab bei den Schlangen gesehen? , fragt Justin Lorbeer . Wieder einmal Wanza? Oder hat Tessa ihre kalte Hand nach dir ausgestreckt und dich berührt?
***
Der tukul hat am Boden kaum mehr als fünf Meter Durchmesser. Ein langer Tisch für die Familie, aus Paletten zusammengezimmert. Als Sitze dienen ungeöffnete Kisten mit Bier und Pflanzenöl. Ein lärmender Ventilator kreist nutzlos unter dem Strohdach, es stinkt nach Soja und Moskitospray. Nur Lorbeer, das Oberhaupt der Familie, bekommt einen Stuhl; der hat sonst seinen Platz am Funkgerät, dessen Einzelteile provisorisch übereinander gestapelt unter einem Buchmacherschirm neben dem Gasherd stehen. Lorbeer sitzt kerzengerade, den Homburg auf dem Kopf, neben ihm Justin, auf der anderen Seite Jamie, die diesen Platz als den ihr angestammten zu betrachten scheint. Justins anderer Nebenmann, ein junger Arzt aus Florenz, trägt einen Pferdeschwanz; neben ihm hockt Helen, die Schottin von der Medikamenten-Ausgabestelle, ihr gegenüber eine nigerianische Krankenschwester, die Salvation heißt.
Andere Mitglieder von Lorbeers umfangreicher Familie haben keine Zeit, sich länger hier aufzuhalten. Sie essen ihren Eintopf im Stehen, oder setzen sich gerade lange genug hin, um den Teller hastig auszulöffeln, bevor sie wieder gehen. Lorbeer schaufelt den Eintopf gierig in sich
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