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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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sofort seiner Kirche beigetreten bist .
    »Hören Sie, Mann. Wir brauchen mehr Landebahnen. Schreiben Sie das in Ihrem Artikel. Mehr Landebahnen, und näher an den Dörfern. Der Fußmarsch ist zu weit für die Leute, und zu gefährlich. Sie werden vergewaltigt, man schneidet ihnen die Kehle durch. Während sie weg sind, stiehlt man ihnen die Kinder. Und wenn sie hier ankommen, erfahren sie, dass sie sich geirrt haben. An dem Tag ist ihr Dorf gar nicht an der Reihe. Also gehen sie wieder nach Hause, sehr verwirrt. Viele von ihnen sterben an dieser Verwirrung. Ihre Kinder auch. Werden Sie das schreiben?«
    »Ich will’s versuchen.«
    »Loki sagt, mehr Landebahnen erfordern mehr Koordination. Ich sage, okay, also koordinieren wir mehr. Loki fragt, wo ist das Geld? Ich sage, erst ausgeben, dann auftreiben. Wen interessiert das schon?«
    Stille legt sich über die Landebahn. Die Stille unheilvoller Befürchtungen. Lauern in der Umgebung Räuber, die Gottes Gabe stehlen wollen? Lorbeer legt seine große Hand auf Justins Oberarm.
    »Wir haben hier keine Waffen, Mann«, beantwortet er dessen unausgesprochene Frage. »In den Dörfern gibt’s Armalites und Kalaschnikoffs. Arthur, unser Vorsteher hier, kauft die Gewehre von seinen fünf Prozent, und dann schenkt er sie seinen Leuten. Aber wir hier in der Station haben bloß ein Funkgerät und unsere Gebete.«
    Der gefährliche Augenblick scheint vorüber. Zaghaft bewegen sich die ersten Träger über die Landebahn und beginnen, die Säcke einzusammeln und aufzuschichten. Die Klemmbretter in der Hand, nehmen Jamie und die anderen Assistentinnen Aufstellung, neben jedem Haufen eine. Einige Säcke sind geplatzt. Frauen fegen mit Reisigbündeln sorgfältig das lose Getreide zusammen. Lorbeer hält Justin am Arm und erklärt ihm »die Kultur des Getreidesacks«. Nachdem Gott das Abwerfen von Nahrungsmitteln aus Flugzeugen erfunden habe, sagt er lachend, habe er den Getreidesack erfunden. Kaputt oder ganz, diese weißen, mit den Initialen des Welternährungsprogramms bedruckten Kunstfasersäcke seien im Südsudan ebenso begehrt wie ihr Inhalt.
    »Sehen Sie den Windsack? Sehen Sie die Mokassins von dem Burschen da drüben? Sehen Sie das Tuch um seinen Kopf? Ich sage Ihnen, Mann, falls ich jemals heirate, muss meine Braut ein Kleid aus diesen Säcken tragen!«
    Jamie bricht in schallendes Gelächter aus, in das die in ihrer Nähe Stehenden sofort einfallen. Das Lachen ist noch nicht verebbt, als an drei verschiedenen Stellen jenseits der Landebahn Gruppen von Dinka-Frauen zwischen den Bäumen hervortreten. Sie sind groß – einsachtzig ist bei ihnen keine Seltenheit –, und sie bewegen sich auf diese würdevolle afrikanische Weise, von der die Models auf den Laufstegen nur träumen können. Die Brüste der meisten von ihnen sind unbedeckt, manche haben sie jedoch unter ihren kupferfarbenen Baumwollgewändern verborgen. Ihr gelassener Blick ist auf die aufgehäuften Säcke vor ihnen gerichtet. Sie reden leise und vertraut miteinander. Jede Gruppe kennt ihr Ziel. Jede Assistentin kennt ihre Kunden. Justin sieht verstohlen zu Lorbeer hinüber, während die Frauen eine nach der anderen ihren Namen nennen, einen Sack an der Verschnürung packen, hochheben und ihn sich anmutig auf den Kopf setzen. Und er sieht, dass Lorbeers Augen jetzt einen ungläubigen, traurigen Ausdruck angenommen haben, als wäre er der Verursacher des Elends dieser Frauen, und nicht ihr Retter.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragt Justin.
    »Die Frauen, sie sind Afrikas einzige Hoffnung, Mann«, antwortet Lorbeer, immer noch flüsternd und ohne den Blick von ihnen abzuwenden. Sieht er Wanza in ihrer Mitte? Und all die anderen Wanzas? Seine blassen, kleinen Augen schauen so schuldbewusst unter der Krempe seines Homburgs hervor. »Schreiben Sie das auf, Mann. Wir geben die Nahrungsmittel nur den Frauen. Den Männern, diesen Idioten, trauen wir nicht über den Weg. Ausgeschlossen. Die verkaufen unseren Hafer auf dem Markt. Lassen ihre Frauen alkoholische Getränke daraus herstellen. Kaufen Zigaretten, Waffen, Mädchen. Die Männer sind Schweine. Die Frauen sorgen für die Familien, die Männer für Krieg. Ganz Afrika ist ein einziger großer Geschlechterkampf, Mann. Nur die Frauen tun hier gottgefällige Werke. Schreiben Sie das auf.«
    Justin kommt der Aufforderung nach. Überflüssigerweise, denn dasselbe hat er von Tessa jeden Tag zu hören bekommen. Die Frauen verschwinden schweigend zwischen den Bäumen.

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