Der ewige Gaertner
Cent. Kommen Sie mir nicht mit Forschungs- und Entwicklungskosten. Die haben die Pharmaleute schon vor zehn Jahren abgeschrieben, und außerdem bekommen sie jede Menge Geld von ihren Regierungen, also ist das alles nur dummes Zeug. Wir haben es hier mit einem unmoralischen Monopol zu tun, das Tag für Tag Menschenleben fordert. Okay?«
Lorbeer kennt seine Requisiten so gut, dass er blind danach greifen kann. Er stellt das Glas ins Regal zurück und nimmt eine große, schwarzweiße Schachtel heraus.
»Dieses Präparat hier wird schon seit dreißig Jahren verhökert. Wogegen hilft es? Gegen Malaria. Wissen Sie, warum es dreißig Jahre alt ist, Peter? Vielleicht sollten mal ein paar Leute in New York Malaria kriegen – was glauben Sie, wie schnell die dann plötzlich ein neues Heilmittel entwickeln könnten!« Er nimmt eine andere Schachtel. Seine Hände zittern, genau wie seine Stimme, vor ehrlicher Entrüstung. »Ein überaus menschenfreundlicher Konzern aus New Jersey hat den hungernden Nationen der Welt eine großartige Spende dieses Produkts zukommen lassen, okay? Die Konzerne sehnen sich nach Liebe. Ohne Liebe werden sie ängstlich und unzufrieden.«
Und gefährlich, denkt Justin, spricht es aber nicht aus.
»Warum hat der Konzern das Medikament gespendet? Ich will es Ihnen sagen. Weil man inzwischen ein besseres entwickelt hat. Das alte Zeug verstopft die Lager. Also schickt man es nach Afrika, es ist ja noch sechs Monate haltbar, und streicht für diese großzügige Geste ein paar Millionen Dollar an Steuervergünstigungen ein. Außerdem spart man ein paar weitere Millionen an Lagerkosten und zusätzlich die Summe, die man für die Vernichtung dieser alten Medikamente ausgeben müsste, die man nicht mehr verkaufen kann. Und jeder sagt: Seht nur, was das für gute Menschen sind. Sogar die Aktionäre sagen das.« Er dreht die Schachtel um und betrachtet verächtlich die Rückseite. »Diese Lieferung hat drei Monate lang beim Zoll in Nairobi gelegen, während die Jungs dort darauf warteten, dass jemand kam, um sie zu bestechen. Vor ein paar Jahren hat derselbe Konzern Haarwuchsmittel, Antiraucher- und Schlankheitspillen nach Afrika geschickt und für diese gütige Tat Steuernachlässe in Millionenhöhe kassiert. Die Schweine haben nur den fetten Götzen Profit im Sinn, und sonst gar nichts.«
Aber am hellsten lodert sein gerechter Zorn auf, wenn es um die eigenen Leute geht – diese Penner bei den Hilfsorganisationen in Genf , die den großen Pharmakonzernen auch bloß ständig in den Hintern kriechen .
»Diese Typen, die andauernd von Humanität reden!«, schimpft er, und wieder grinsen die Helfer. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hat er Tessas Hasswort gebraucht. »Mit ihren sicheren Jobs und steuerfreien Gehältern, ihren Pensionen und schicken Autos, den kostenlosen internationalen Schulen für ihre Kinder! Und dauernd sind sie auf Reisen, so dass sie nie dazu kommen, ihr Geld auszugeben. Ich habe sie gesehen, Mann! In der Schweiz, in feinen Restaurants, wo sie sich mit den smarten Lobbyisten der Pharmakonzerne die Bäuche voll schlagen. Warum sollten sie sich für Humanität stark machen? Genf hat ein paar Milliarden Dollar zu vergeben? Großartig! Dann gebt das Geld den Pharmakonzernen und macht die Amerikaner glücklich!«
In der Stille, die auf diesen Ausbruch folgt, wagt Justin eine Frage.
»In welcher Eigenschaft genau haben Sie diese Leute gesehen, Brandt?«
Köpfe werden gehoben. Alle, außer Justins. Anscheinend ist noch nie zuvor jemand auf die Idee gekommen, den Propheten in seiner Wüste herauszufordern. Lorbeers rötliche Augen weiten sich. Verletzt runzelt er die Stirn.
»Ich habe sie gesehen, Mann, glauben Sie mir. Mit meinen eigenen Augen.«
»Ich bezweifle nicht, dass Sie sie gesehen haben, Brandt. Aber meine Leser könnten es bezweifeln. Sie könnten sich fragen: In welcher Eigenschaft hat Brandt sie gesehen? Als Mitarbeiter der UNO? Als Gast in einem Restaurant?« Ein kurzes Lachen, das die Unwahrscheinlichkeit der nächsten Behauptung andeuten soll: »Oder haben Sie für die Mächte der Finsternis gearbeitet?«
Spürt Lorbeer die Anwesenheit eines Feindes? Kommt ihm der Ausdruck ›Mächte der Finsternis‹ auf bedrohliche Weise vertraut vor? Ist die verschwommene Gestalt, die Justin im Krankenhaus für ihn war, jetzt nicht mehr ganz so verschwommen? Sein Gesicht hat einen jämmerlichen Ausdruck angenommen. Das kindliche Leuchten ist aus seinen Augen verschwunden; Lorbeer ist
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