Der ewige Gaertner
benommen von der Reise und beladen mit Handgepäck, sind sie beide erst vor wenigen Minuten aus London eingetroffen. Es ist das erste Mal, dass sie afrikanischen Boden betreten. Kenia – ganz Afrika – wartet auf sie. Doch ausgerechnet dieses Plakat erregt Tessas Aufmerksamkeit.
»Justin, sieh dir das an! Du guckst ja gar nicht hin.«
»Was ist denn? Natürlich gucke ich hin.«
»Die haben unsere Bienen geklaut! Da hält sich jemand für Napoleon! So eine Dreistigkeit! Das ist ein Skandal! Du musst was unternehmen!«
Und das war es in der Tat. Ein Skandal. Freilich ein eher komischer. Napoleons drei Bienen, die Symbole seines Ruhms, das in Ehren gehaltene Wahrzeichen von Tessas geliebter Insel Elba, auf der der große Mann seine erste Verbannung abgesessen hatte, waren schamlos nach Kenia verschleppt und in die Sklaverei der Werbung verkauft worden. Als er das Plakat jetzt wieder sah, konnte Justin nur staunen, welch obszöne Zufälle das Leben bereitzuhalten wusste.
SIEBTES KAPITEL
J ustin Quayle hockte steif auf dem ihm unerwartet zugewiesenen Business-Class-Sitz im vorderen Teil des Flugzeugs, die Gladstone-Tasche über seinem Kopf verstaut, und starrte an seinem Spiegelbild vorbei in die Schwärze des Raums. Er war frei. Nicht begnadigt, nicht versöhnt, nicht getröstet, nicht erlöst. Nicht befreit von den Albträumen, in denen sie tot war, und aus denen er mit der Erkenntnis erwachte, dass das die Wirklichkeit war. Nicht frei vom Schuldgefühl des Überlebenden. Nicht frei von Sorge um Arnold. Aber endlich frei, auf seine eigene Weise zu trauern. Befreit aus seinem fürchterlichen Gefängnis; befreit von den Wärtern, die er zu hassen gelernt hatte; befreit davon, in seinem Zimmer im Kreis herumzulaufen wie ein Strafgefangener in der Zelle, fast in den Wahnsinn getrieben von den verwirrenden Gedanken in seinem Kopf und den erbärmlichen Umständen seiner Haft. Er war befreit von der Stummheit der eigenen Stimme, davon, auf seiner Bettkante zu sitzen und unentwegt nach dem Warum zu fragen. Befreit von den beschämenden Momenten, in denen er so niedergeschlagen, müde und ausgelaugt gewesen war, dass er sich beinahe hätte einreden können, ihn kümmere das alles absolut nicht, die Ehe sei sowieso ein Wahnsinn gewesen, jetzt sei sie vorbei, wofür er doch dankbar sein könne. Und wenn Trauer, wie er einmal gelesen hatte, eine Form der Untätigkeit war, dann war er jetzt auch befreit von dieser Untätigkeit, die nichts anderes kannte als Trauer.
Auch war er befreit von der Vernehmung durch die Polizei, bei der ein Justin, den er nicht wieder erkannte, auf die Bühne getreten war und seine Bürde in tadellos geformten Sätzen den ratlosen Befragern vor die Füße gelegt hatte – oder jedenfalls so viel davon, wie sein verwirrter Instinkt für ratsam befand. Das Verhör begann damit, dass sie ihn des vorsetzlichen Mordes beschuldigten.
»Uns drängt sich ein Szenario auf, mit dem wir Sie konfrontieren müssen«, beginnt Lesley fast entschuldigend. »Sie sollen schließlich wissen, worum es geht, auch wenn uns klar ist, wie schmerzhaft das alles für Sie sein muss. Man nennt es Dreiecksverhältnis, und Sie sind dabei der eifersüchtige Ehemann. Sie haben den Auftrag für diesen Mord erteilt. Und er wurde ausgeführt, während Ihre Frau und deren Liebhaber so weit von Ihnen entfernt waren wie möglich, was immer gut ist fürs Alibi. Sie haben sie beide umbringen lassen, aus Rache. Sie haben Arnold Bluhms Leiche aus dem Jeep entfernen und beseitigen lassen, damit wir denken, dass Bluhm der Mörder ist, und nicht Sie. Im Turkanasee wimmelt es von Krokodilen. Kein Problem also, Arnold verschwinden zu lassen. Außerdem haben Sie, wie man hört, eine hübsche Erbschaft zu erwarten, was uns noch ein zweites Motiv liefert.«
Sie beobachten ihn, wie ihm wohl bewusst ist, warten auf ein Zeichen von Schuld, Unschuld, Entrüstung, Verzweiflung – auf irgendein Zeichen –, aber vergeblich. Justin zeigt zunächst einmal gar keine Regung. Er sitzt da auf einem Stuhl aus Woodrows Ensemble unechter Stilmöbel, gepflegt, nachdenklich und etwas abwesend, die gespreizten Fingerspitzen berühren den Tisch, als hätte er gerade einen Akkord auf dem Klavier angeschlagen und lauschte, wie er verklang. Lesley beschuldigt ihn des Mordes, doch die einzige sichtbare Reaktion, die sie bekommt, die einzige Verbindung zu seinem Innenleben, ist ein leichtes Stirnrunzeln.
»Ich hatte das Wenige, was Woodrow mir freundlicherweise
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