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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Treulosigkeit eines Freundes. Aber wieder enttäuscht ihn Justin.
    »Darum geht es schlicht und einfach nicht«, antwortet er mit solchem Nachdruck, dass er sich selbst zu überraschen scheint. Er fährt hoch, blickt sich um, als wollte er sehen, wer ihm dazwischengeredet hat, wen er sich vorknöpfen muss. »Mag sein, dass es den Zeitungen darum geht. Vielleicht auch Ihnen. Aber für mich war das nie der Punkt und ist es auch jetzt nicht.«
    »Was ist denn dann der Punkt?«, erkundigt sich Rob.
    »Ich habe versagt.«
    »Inwiefern? Sie konnten nicht, meinen Sie?« Und mit männlichem Hohnlachen: »Im Bett versagt, ja?«
    Justin schüttelt den Kopf. »Indem ich mich abgesondert habe.« Seine Stimme wird zu einem bloßen Murmeln. »Indem ich sie allein habe machen lassen. Indem ich mich gedanklich zurückgezogen, eine unmoralische Vereinbarung mit ihr getroffen habe. Was ich nie hätte tun dürfen. Und sie auch nicht.«
    »Was für eine Vereinbarung war das denn?«, fragt Lesley, bewusst zuckersüß nach Robs vorsätzlicher Rohheit.
    »Sie folgt ihrem Gewissen, ich mache weiter meinen Job. Das war eine unmoralische Aufteilung. Wir hätten es nicht dazu kommen lassen dürfen. Es war, als hätte ich sie in die Kirche geschickt mit dem Auftrag, für uns beide zu beten. Es war, als würde man einen Kreidestrich mitten durchs Haus ziehen und sagen: Wir sehen uns dann im Bett.«
    Unbeeindruckt von der Offenheit dieses Eingeständnisses und den tagelangen Selbstvorwürfen, die darin zum Ausdruck kommen, macht Rob Anstalten, Justin herauszufordern. Auf seinem düsteren Gesicht liegt noch das ungläubige Hohnlachen von eben. Sein geöffneter Mund ist rund wie die Mündung eines großkalibrigen Gewehrs. Lesley ist an diesem Tag jedoch schneller als Rob. Die Frau in ihr ist hellwach und empfänglich für Untertöne, die Robs männliches Ohr vor Aggressivität nicht wahrnimmt. Und als Rob sich ihr zuwendet, sie quasi um Erlaubnis bittet für sein nächstes Manöver – Justin vielleicht wieder mit Arnold Bluhm zu reizen, oder mit anderen Fragen, die versprechen, sie näher an den Mord heranzuführen –, schüttelt Lesley den Kopf. Sie zieht ihre Hand aus der Tasche und winkt verstohlen ab, als wollte sie sagen: »Langsam, langsam.«
    »Wie haben Sie beide sich denn überhaupt kennengelernt?«, fragt sie Justin, so wie eine Zufallsbekanntschaft auf einer langen Reise.
    Ein genialer Einfall von Lesley: ihm das Ohr einer Frau und das Verständnis einer Fremden anzubieten, erst einmal innezuhalten und ihn vom gegenwärtigen Schlachtfeld in friedlichere Gefilde zurückzubringen, die Vergangenheit. Und Justin geht auf ihr Angebot ein. Seine Schultern entspannen sich, er schließt halb die Augen und erzählt abwesend mit der zutiefst privaten Stimme der Erinnerung, wie es war. Erzählt es genau so, wie er es sich wohl schon hundert Mal selbst vergegenwärtigt hat in den Stunden seiner Qual.
    * **
    »Wann ist denn, Ihrer Ansicht nach, ein Staat kein Staat, Mr Quayle?«, erkundigte Tessa sich liebenswürdig, eines ruhigen Mittags vor vier Jahren in Cambridge, in einem altehrwürdigen, unter dem Dach gelegenen Hörsaal, durch dessen Oberlicht staubige Sonnenstrahlen schräg hereinfielen. Es waren die allerersten Worte, die sie an ihn richtete, und sie riefen Gelächter hervor unter der eher trägen Zuhörerschaft von fünfzig Juristenkollegen, die sich ebenso wie Tessa für ein zweiwöchiges Sommerseminar über »Das Gesetz und die verwaltete Gesellschaft« eingeschrieben hatten. Justin wiederholt diese Worte jetzt für die Beamten und erklärt, wie es ihn in seinem Dreiteiler aus feinem Flanell von Hayward auf jenes Podium verschlagen hatte, hinter das Sprechpult, das er mit beiden Händen umklammert hielt. Und wie typisch diese Situation für sein Leben bis zu jenem Zeitpunkt gewesen war. Längst hat er sich abgewandt und spricht statt zu den beiden Beamten in die im Tudorstil eingerichteten Erker des Woodrowschen Esszimmers.
    »Quayle wird es machen!«, hatte irgendein Scherge im Büro des Staatssekretärs am späten Abend des Vortags ausgerufen, keine elf Stunden, bevor der Vortrag gehalten werden sollte. »Schafft mir Quayle her!« Er meinte Quayle, den ewigen Junggesellen, den vielseitig Einsetzbaren, den Schwarm aller alternden Debütantinnen, den Letzten einer aussterbenden Art, Gott sei Dank gerade aus dem verdammten Bosnien zurückgekehrt und für einen Afrikaeinsatz ausersehen, aber noch im Lande. Quayle, der überzählige Mann,

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