Der ewige Gaertner
Halbkreis am Grab auf. Sie trugen alle die gleiche Uniform: ein blau geblümtes Rüschenkleid und ein Kopftuch aus demselben Stoff. Einzeln hätten sie vielleicht verloren gewirkt, aber als Gruppe waren sie stark. Und dann begannen sie zu singen, anfangs noch leise. Niemand dirigierte sie, es gab keine Begleitinstrumente, die meisten Sängerinnen weinten, doch ihr Gesang wurde durch die Tränen nicht beeinträchtigt. Sie sangen mehrstimmig, abwechselnd Englisch und Kisuaheli, und wurden mit jeder Wiederholung lauter: Kwa heri , Mama Tessa … Kleine Mama , lebe wohl … Woodrow versuchte, auch die restlichen Worte zu verstehen. Kwa heri , Tessa … Tessa , gute Freundin , lebe wohl … Du bist zu uns gekommen , Mama Tessa , kleine Mama , hast uns dein Herz geschenkt … Kwa heri , Tessa , lebe wohl .
»Wo zum Teufel kommen die denn her?«, zischte Woodrow Gloria zu.
»Von da unten«, flüsterte Gloria und wies mit dem Kopf in Richtung Kibera am Fuß des Hügels.
Der Gesang schwoll an, als der Sarg in die Erde gesenkt wurde. Justin folgte ihm mit dem Blick und zuckte zusammen, als er unten aufsetzte. Noch einmal zuckte er, als die erste Schaufel Erde auf den Deckel prasselte und eine zweite die gelben Freesien unter sich begrub. Plötzlich erhob sich ein schrecklicher Schrei aus der Menge, kurz wie das Kreischen einer rostigen Türangel, die hastig bewegt wird, aber lange genug, dass Woodrow mitbekam, wie Ghita Pearson in Zeitlupe auf die Knie, dann seitwärts auf eine wohlgeformte Hüfte sank und ihr Gesicht in den Händen vergrub. Dann ließ sie sich, ein ebenso unwahrscheinlicher Anblick, von Veronica Coleridge auf die Beine helfen und nahm wieder ihre Trauerhaltung ein.
Hatte Justin Kioko etwas zugerufen? Oder handelte der Junge aus eigenem Antrieb? Leicht wie ein Schatten war er an Justins Seite geglitten und hatte, ganz ohne Scham, in einer Geste der Zuneigung dessen Hand ergriffen. Gloria sah durch eine neue Flut von Tränen, wie die beiden Hände sich bewegten, bis sie eine für beide bequeme Haltung gefunden hatten. So vereint, sahen der trauernde Gatte und der trauernde Bruder zu, wie Tessas Sarg unter der Erde verschwand.
* **
Justin reiste noch am selben Abend aus Nairobi ab. Zu Glorias ewigem Verdruss hatte Woodrow ihr nichts davon gesagt. Der Esstisch war für drei gedeckt, Gloria hatte eigenhändig den Rotwein entkorkt und eine Ente in den Backofen geschoben, »um uns alle etwas aufzuheitern«. Sie hörte Schritte im Flur und nahm voller Freude an, Justin habe sich zu einem Drink vor dem Essen entschlossen, wir beide allein, während Sandy oben den Jungen noch etwas vorliest. Und plötzlich standen dort im Flur seine abgewetzte Gladstone-Tasche und ein graugrüner Koffer, den Mustafa ihm gebracht hatte, beide mit Etiketten beklebt, und Justin stand daneben, einen Regenmantel über dem Arm und eine Reisetasche über die Schulter gehängt, und wollte ihr den Schlüssel zum Weinkeller zurückgeben.
»Aber Justin, Sie geben doch nicht!«
»Sie waren überaus nett zu mir, Gloria. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen jemals danken kann.«
»Entschuldige, Darling«, flötete Woodrow und sprang, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter. »Kleines Versteckspiel, musste leider sein. Wollte nicht, dass die Dienstboten die Sache herumtratschen. Anders ließ es sich nicht deichseln.«
Im selben Augenblick läutete es an der Haustür. Es war Livingstone, der Fahrer, der sich von einem Freund einen roten Peugeot ausgeliehen hatte, damit sie nicht mit den verräterischen Diplomatenkennzeichen am Flughafen vorfahren mussten. Auf dem Beifahrersitz hockte Mustafa und starrte finster drein wie ein bloßes Abbild seiner selbst.
»Aber wir müssen Sie begleiten, Justin! Wir müssen Sie zum Flughafen bringen! Ich bestehe darauf! Ich wollte Ihnen doch noch eins von meinen Aquarellen mitgeben! Was soll denn dort aus Ihnen werden?«, rief Gloria außer sich. »Wir können Sie doch nicht einfach so ziehen lassen, an einem solchen Abend – Darling !«
Das Darling war eigentlich an Woodrow gerichtet, aber es hätte durchaus auch Justin gemeint sein können, denn als es aus ihr heraussprudelte, brach Gloria in Tränen aus, die letzten eines langen, tränenreichen Tages. Hemmungslos schluchzend drückte sie Justin an sich, tätschelte ihm den Rücken, presste ihre Wange an seine und flüsterte: »Ach, geh nicht, oh, bitte, oh, Justin«, und anderes, weniger deutlich Artikuliertes, ehe sie sich tapfer von ihm
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