Der ewige Gaertner
müssen.«
»Nach Lokichoggio?«
Justin schüttelt den Kopf.
»Zum Turkanasee?«
»Egal wohin.«
»Hat sie das gesagt?«
»Nein. Sie hat mich nie kritisiert. Wir haben einander keine Vorschriften gemacht. Wir haben uns nur ein einziges Mal gestritten, und da ging es um Methoden, weniger um Inhalte. Arnold ist nie ein Hindernis gewesen.«
»Worum genau ging es bei dem Streit?«, will Rob wissen, entschlossen, die Angelegenheit weiterhin betont nüchtern anzugehen.
»Nach dem Verlust unseres Babys habe ich Tessa angefleht, mit mir zurück nach England oder Italien zu gehen. Oder wo immer sie hinwollte. Es kam nicht in Frage für sie. Sie hatte eine Aufgabe, Gott sei’s gedankt, einen Grund zu überleben, und zwar hier in Nairobi. Sie war auf eine große soziale Ungerechtigkeit gestoßen, ein großes Verbrechen. Diese Ausdrücke hat sie benutzt. Das war aber alles, was ich wissen durfte. Und in meinem Beruf ist gezielte Ahnungslosigkeit eine Kunstform.« Er dreht sich zum Fenster und starrt mit leerem Blick hinaus. »Haben Sie gesehen, wie die Menschen in den Slums hier leben?«
Lesley schüttelt den Kopf.
»Einmal hat Tessa mich mitgenommen. In einem schwachen Moment, wie sie später sagte, wollte sie, dass ich ihren Arbeitsplatz inspiziere. Ghita Pearson hat uns begleitet. Ghita und Tessa standen sich sozusagen von Natur aus nahe. Es war fast zum Lachen, wie viel sie gemeinsam hatten. Beide Mütter waren Ärztinnen, beide Väter Juristen. Sie waren beide katholisch erzogen worden. Wir haben eine Klinik besucht. Vier Betonwände und ein Blechdach und tausend Menschen, die vor der Tür warteten.« Für einen Augenblick vergisst er, wo er sich befindet. »Armut dieses Ausmaßes ist eine Wissenschaft für sich, darüber kann man nicht alles an einem Nachmittag lernen. Dennoch war es von da an schwierig für mich, die Stanley Street entlang zu gehen, ohne –«, er stockt wieder, »ohne das andere Bild im Kopf zu haben.« Nach Woodrows aalglatten Ausweichmanövern klingen Justins Worte wie die reine Wahrheit. »Diese große Ungerechtigkeit – das große Verbrechen – war, was Tessa am Leben hielt. Unser Baby war fünf Wochen tot. Tessa saß allein zu Hause und starrte die Wände an. Mustafa rief mich immer wieder im Hochkommissariat an – ›Kommen Sie nach Hause, Mzee, sie ist krank, sie ist krank.‹ Aber nicht ich war es, der sie wieder zum Leben erweckt hat. Es war Arnold. Arnold verstand Tessa. Arnold teilte dieses Geheimnis mit ihr. Sie brauchte nur sein Auto in der Auffahrt zu hören, schon war sie ein anderer Mensch. ›Gibt’s was Neues? Gibt’s was Neues?‹ Sie meinte Informationen. Fortschritte. Wenn er wieder weg war, zog sie sich in ihr kleines Arbeitszimmer zurück und plagte sich bis spät in die Nacht.«
»An ihrem Computer?«
Ein Anflug von Argwohn bei Justin, den er schnell wieder abschüttelt. »Sie hatte ihre Unterlagen, sie hatte ihren Computer. Sie hatte das Telefon, das sie mit größter Umsicht benutzte. Und sie hatte Arnold, wann immer er abkömmlich war.«
»Und Sie hat das überhaupt nicht gestört?«, spottet Rob, unangemessenerweise in seinen überheblichen Ton zurückfallend. »Ihre Frau sitzt rum und bläst Trübsal und wartet nur darauf, dass Dr. Wunderbar endlich auftaucht?«
»Tessa war verzweifelt. Und wenn sie hundert Bluhms gebraucht hätte, sie hätte sie von mir aus alle haben können, zu welchen Bedingungen auch immer.«
»Und Sie wussten nichts über das große Verbrechen, dem Ihre Frau angeblich auf der Spur war«, nimmt Lesley den Faden wieder auf, noch immer nicht überzeugt. »Absolut nichts. Weder, worum es ging, noch, wer die Opfer und wer die Hauptakteure waren. Das haben die beiden alles von Ihnen fern gehalten, Bluhm und Tessa. Und Sie blieben außen vor.«
»Ich habe ihnen ihren Freiraum gelassen«, bestätigt Justin unbeirrbar.
»Ich verstehe einfach nicht, wie Sie so überleben konnten«, beharrt Lesley ihrerseits, legt das Notizbuch beiseite und breitet die Hände aus. »Getrennt, aber zusammen – so wie Sie’s beschreiben –, das ist – das ist, als würde man nicht mehr miteinander reden. Oder schlimmer.«
»Wir haben nicht überlebt«, erinnert Justin sie schlicht. »Tessa ist tot.«
***
Vielleicht haben sie geglaubt, dass damit die Zeit der intimen Geständnisse vorbei sei, dass nun eine Phase der Peinlichkeiten, der Verlegenheit oder gar des Widerrufs folgen würde. Aber Justin hat gerade erst angefangen. Mit einem Ruck setzt er sich
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