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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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herausfand, stammten alle diese Ausdrücke von ihrem Vater, den er von da an verabscheute, was er aber sorgfältig vor ihr verbarg, da sie ihren Vater wie einen Heiligen verehrte. Ihr Verlangen nach Justins Liebe, erklärte sie, sei wie ein unstillbarer Hunger in ihr, und Justin konnte nur beteuern, dass für ihn ohne Frage das Gleiche gelte. Und in dem Augenblick glaubte er selbst daran.
    Kaum dass er achtundvierzig Stunden in London war, riet ihm sein Instinkt allerdings zur Flucht. Er war von einem Tornado erfasst worden, aber Tornados richteten, wie er aus Erfahrung wusste, eine Menge Schaden, auch kollateraler Art, an und zogen dann weiter. Die noch nicht spruchreife Versetzung in ein afrikanisches Rattenloch erschien ihm plötzlich verlockend. Je länger er sich seine Liebesbeteuerungen vorsagte, desto mehr beunruhigten sie ihn: Das ist doch alles nicht wahr, ich bin im falschen Film. Er hatte eine ganze Reihe Affären gehabt und erhoffte sich einige weitere – allerdings nur in denkbar streng geregelten und vorgefassten Bahnen, mit Frauen, die ebenso wenig wie er geneigt waren, ihren gesunden Menschenverstand der Leidenschaft zu opfern. Die grausamere Wahrheit aber war: Tessas Glauben machte ihm Angst, denn als überzeugter Pessimist glaubte er selbst an nichts; nicht an die menschliche Natur, nicht an Gott, nicht an die Zukunft und ganz bestimmt nicht an die universelle Macht der Liebe. Die Menschen waren schlecht und würden es immer bleiben. Die Welt beherbergte eine kleine Anzahl vernünftiger Menschen, und Justin war zufällig einer von ihnen. Ihre Aufgabe war es seiner schlichten Ansicht nach, die Menschheit von ihren schlimmsten Exzessen abzuhalten – unter dem Vorbehalt, dass auch der Vernünftige herzlich wenig dagegen tun konnte, wenn zwei feindliche Lager entschlossen waren, sich gegenseitig in Stücke zu reißen, egal wie unbarmherzig er auch vorgehen mochte in seinem Bemühen, der Unbarmherzigkeit zu wehren. Letzten Endes, sagte sich der Meister des hehren Nihilismus, bleibt den zivilisierten Menschen heute nichts anderes mehr übrig, als nach der Prämisse vorzugehen: Augen zu und durch. Es war daher um so bedauerlicher, dass Justin, der jede Form von Idealismus mit äußerster Skepsis betrachtete, sich ausgerechnet mit einer jungen Frau eingelassen hatte, die zwar in vielerlei Hinsicht erfreulich ungehemmt war, sich jedoch nicht imstande sah, auch nur einen Schritt zu tun, ohne sich vorher über ihren moralischen Standpunkt klar zu werden. Flucht war die einzig vernünftige Alternative.
    Aber als er in den folgenden Wochen mit allem gebotenen Feingefühl seinen Rückzug einleiten wollte, kam er allmählich zu der Erkenntnis, was für ein Wunder da geschehen war. Kleine Abendessen, die für die reuevolle Abschiedsszene vorgesehen waren, verwandelten sich in Feste der Verzauberung, gefolgt von immer berauschenderen sexuellen Freuden. Er begann sich für seine heimliche Treulosigkeit zu schämen. Tessas lebhafter Idealismus schreckte ihn nicht, sondern amüsierte ihn, spornte ihn auf ganz ungetrübte Weise sogar an. Es musste ja jemand so fühlen und sich entsprechend äußern. Nur hatte er bislang starke Überzeugungen für den natürlichen Feind des Diplomaten gehalten, die es zu ignorieren galt. Oder man ließ ihnen freien Lauf und versuchte, ihre Energien in harmlose Kanäle zu lenken. Doch jetzt betrachtete er sie zu seiner eigenen Überraschung als Zeichen von Courage und Tessa als ihre Bannerträgerin.
    Und diese Erkenntnis wurde begleitet von einer neuen Selbstwahrnehmung. Er war nicht länger der Schwarm aller alternden Debütantinnen, der leichtfüßige Junggeselle, der sich den Fesseln der Ehe behände zu entziehen verstand. Justin war zur drolligen Vaterfigur geworden, ein Mann, der ein hübsches junges Mädchen anbetete, ihr, wie man so schön sagt, jeden Wunsch von den Lippen ablas und ihr stets ihren Willen ließ. Doch war er auch ihr Beschützer, ihr Fels, ihr Ruhepol, ihr liebevoller älterer Gärtner mit dem Strohhut. Justin begrub seinen Fluchtplan und steuerte geradewegs auf Tessa zu, was er – das wollte er den Polizeibeamten vermitteln – niemals bereut hatte. Er hatte niemals mehr zurückgeblickt.
    ***
    »Nicht einmal, als Tessa Sie immer öfter in Verlegenheit brachte?«, fragt Lesley, nachdem Rob und sie, insgeheim verblüfft über Justins Offenheit, eine Weile respektvoll geschwiegen haben.
    »Ich habe es Ihnen doch gesagt. Es gab Fragen, in denen wir uns nicht einig

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