Der ewige Gaertner
abgeschlossen. Kommt bei Verbrechen aus Leidenschaft ziemlich häufig vor, hab ich mir sagen lassen. Man bringt jemanden um, schließt die Tür hinter sich und damit auch einen Teil des eigenen Gehirns. Das Ganze ist nie geschehen. Erinnerung gelöscht. Klassischer Fall.«
Von Justins ungläubigem Gesicht irritiert, unterbrach er sich kurz, und als er weitersprach, ließ sein Ton erkennen, dass er sein abschließendes Urteil in der Sache verkündete.
»Für mich war es Oswald, Justin. Lee Harvey Oswald hat John F. Kennedy erschossen. Niemand hat ihm dabei geholfen. Arnold Bluhm ist durchgedreht und hat Tessa getötet. Der Fahrer hatte was dagegen, also hat Bluhm ihm auch gleich eins mit dem Messer verpasst und den Kopf zur Freude der Hyänen in die Büsche geworfen. Basta . Irgendwann kommt der Moment, nach all der Hirnwichserei und dem Herumphantasieren, da muss man sich mit dem Offensichtlichen abfinden. Noch ein bisschen klebrigen Karamelpudding? Apfelkompott?« Er gab dem Ober ein Zeichen, er solle den Kaffee servieren. »Darf ich Ihnen noch ein paar warnende Worte mit auf den Weg geben, unter Freunden?«
»Oh, ich bitte darum.«
»Sie sind krank geschrieben. Sie machen gerade die Hölle durch. Aber Sie sind ein alter Kämpe, Sie kennen die Regeln und sind immer noch Afrika-Experte. Und Sie gehören zu meiner Truppe.« Und damit Justin nicht auf den Gedanken kam, dies sei eine allzu romantische Definition seines Status, fuhr er fort: »Es gibt da draußen jede Menge Traumjobs für jemanden, der sein Leben auf die Reihe kriegt. Aber auch jede Menge Orte, wo ich nicht mal begraben sein möchte. Und falls Sie so genannte vertrauliche Informationen verbergen – in Ihrem Kopf oder sonstwo –, dann gehören die ganz klar uns und nicht Ihnen. Heute geht es in der Welt rauer zu, als in der, wo wir aufgewachsen sind. Es laufen eine Menge böser Buben herum, die alles wollen und viel zu verlieren haben. Das führt zu schlechten Manieren.«
Wie wir leider am eigenen Leib erfahren haben, dachte Justin im Innern seiner Glaskapsel. Er erhob sich wie schwerelos vom Tisch und war überrascht, sein Bild in einer großen Zahl von Spiegeln gleichzeitig zu sehen. Er sah sich aus allen Blickwinkeln, in jedem Abschnitt seines Lebens: Justin, das Kind, das sich in riesengroßen Häusern verirrte, der Freund von Köchen und Gärtnern. Justin, der Rugbystar in der Schule. Justin, der ewige Junggeselle, der seine Einsamkeit in flüchtigen Abenteuern zu vergessen sucht. Justin, die große Hoffnung des Außenministeriums und der hoffnungslose Fall, an der Seite seines Freundes, des Drachenbaums, Justin, der frisch verwitwete Vater seines toten und einzigen Sohnes.
»Sie waren sehr freundlich, Bernard. Ich danke Ihnen.«
Was so viel heißen sollte wie: Danke für den Meisterkurs in Sophisterei, wenn er damit überhaupt etwas sagen wollte. Danke für den Vorschlag, einen Film über die Ermordung meiner Frau zu machen, und dafür, dass Sie auf dem letzten Rest Gefühl herumgetrampelt sind, das mir noch geblieben war. Danke für Tessas achtzehnseitiges Weltuntergangsszenario, ihre geheimen Rendezvous mit Woodrow und andere verlockende Einzelheiten, die Sie mir in Erinnerung gerufen haben. Dank auch für die warnenden Worte unter Freunden und für das stählerne Glitzern, das Sie dabei in den Augen hatten. Denn wenn ich genau hinschaue, entdecke ich das gleiche Glitzern auch bei mir.
»Sie sind ganz blass geworden«, sagte Pellegrin vorwurfsvoll. »Irgendwas nicht in Ordnung, mein Lieber?«
»Mir geht’s gut. Erst recht nach diesem Gespräch mit Ihnen, Bernard.«
»Schlafen Sie sich erst mal aus. Laden den Akku wieder auf. Und wir müssen dieses Wochenende im Auge behalten. Bringen Sie einen Freund mit. Jemanden, der ein bisschen Tennis spielen kann.«
»Arnold Bluhm hat keiner Seele jemals etwas zuleide getan«, sagte Justin langsam und deutlich, als Pellegrin ihm in seinen Regenmantel half und ihm seine Tasche zurückgab. Aber er war sich nicht sicher, ob er es laut sagte oder nur zu den tausend Stimmen, die in seinem Kopf kreischten.
ZEHNTES KAPITEL
W ann immer er in der Ferne an das Haus dachte, tat er es mit Widerwillen: groß, verwahrlost und in unerträglichem Maß von den Eltern geprägt. Das Haus Nummer vier einer grünen Seitenstraße in Chelsea hatte zur Straße hin einen Garten, der stets verwildert blieb, ungeachtet aller Pflege, die Justin ihm angedeihen ließ, wenn er auf Heimaturlaub war. Die Überreste von Tessas
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