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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Baumhaus steckten wie ein verrottendes Rettungsfloß in der abgestorbenen Eiche, die sie ihm nicht zu fällen erlaubt hatte. Zerplatzte Luftballons weit zurückliegender Jahrgänge und allerlei Fetzen von Drachen hingen aufgespießt in den dünnen, verkrüppelten Ästen. Als er das verrostete Eisentor aufstieß und über einen Sumpf aus verrottendem Laub schob, schlüpfte der schielende Kater der Nachbarn aufgeschreckt ins Unterholz. Und um die beiden mürrischen Kirschbäume musste er sich vermutlich ernsthaft Gedanken machen, denn sie waren von der Kräuselkrankheit befallen.
    Vor dem Haus hatte ihm schon den ganzen Tag gegraut, und bereits die ganze letzte Woche, während er seine Strafe im Untergeschoss abgesessen hatte, und auf dem langen Fußmarsch nach Westen durch das einsame Halbdunkel eines Londoner Winternachmittags, während er versuchte, sich einen Weg durch das Labyrinth der Ungeheuerlichkeiten in seinem Kopf zu bahnen und ihm die Gladstone-Tasche immer wieder ans Bein stieß. Das Haus beherbergte jenen Teil von Tessa, an dem er keinen Anteil gehabt hatte und nun auch nicht mehr haben würde.
    Ein scharfer Wind rüttelte an der Markise des Obst- und Gemüsehändlers auf der anderen Straßenseite, wirbelte Blätter auf und scheuchte vereinzelte Feierabendkunden den Bürgersteig entlang. Justin aber hatte zu viel mit sich zu tun, als dass er, trotz seines leichten Anzugs, die Kälte bemerkt hätte. Die gefliesten Stufen zur Eingangstür knirschten unter seinen Füßen, als er sie schwungvoll hochging. Oben angelangt, drehte er sich um und warf einen langen Blick zurück, ohne recht zu wissen, wonach er eigentlich Ausschau hielt. Ein Penner lag eingemummt unter dem Geldautomaten der National Westminster Bank. Ein Mann und eine Frau saßen streitend in einem falsch geparkten Auto. Ein dünner Mann in Hut und Regenmantel sprach in sein Handy. In einem zivilisierten Land kann man nie wissen. Das fächerförmige Fenster über der Haustür war von innen erleuchtet. Um nicht unerwartet hereinzuplatzen, drückte Justin auf den Klingelknopf und hörte den vertrauten rostigen Klang der Glocke, die wie ein Schiffshorn auf dem Treppenabsatz des ersten Stocks anschlug. Wer wohl zu Hause ist, fragte er sich, während er auf das Geräusch nahender Schritte wartete. Aziz, der marokkanische Maler, und sein Freund Raoul? Petronilla, die junge nigerianische Frau, die auf der Suche war nach Gott, und ihr fünfzigjähriger Priester aus Guatemala? Gazon, der abgemagerte französische Arzt und Kettenraucher, der mit Arnold in Algerien zusammengearbeitet hatte und das gleiche bedauernde Lächeln besaß wie dieser, dieselbe Angewohnheit, mitten im Satz zu verstummen, die Augen in schmerzlicher Erinnerung halb zu schließen und zu warten, bis er sich von Gott weiß was für Albträumen befreit hatte und den Faden wieder aufnehmen konnte?
    Da er weder Stimmen noch Schritte hörte, drehte Justin den Schlüssel im Schloss und betrat die Diele in der Erwartung, den Duft afrikanischen Essens zu riechen und Reggaemusik aus dem Radio sowie lebhaftes Geplauder aus der Küche zu hören.
    »Hallo!«, rief er. »Ich bin’s. Justin.«
    Keine Antwort, keine Musik, keine Düfte oder Stimmen aus der Küche. Nicht das geringste Geräusch, außer dem Rauschen des Verkehrs draußen auf der Straße und dem Echo seiner eigenen Stimme, das auf der Treppe nach oben kroch. Stattdessen erblickte er Tessas Kopf, aus einer Zeitung ausgeschnitten und mit Pappe verstärkt, inmitten einer Reihe von Marmeladentöpfen, in denen Blumensträuße steckten. Und zwischen zwei Töpfen lag ein gefaltetes Blatt Papier, vermutlich aus Aziz’ Zeichenblock gerissen, auf dem Tessas verschwundene Mieter handschriftlich ihre Trauer und Liebe zum Ausdruck brachten: Justin , wir konnten einfach nicht bleiben , mit Datum vom letzten Montag.
    Er faltete das Blatt wieder zusammen und legte es an seinen Platz zurück. Den Blick starr geradeaus gerichtet, nahm er Haltung an und blinzelte die Tränen aus den Augen. Justin ließ die Gladstone-Tasche in der Diele stehen und ging, an der Wand Halt suchend, zur Küche. Er machte die Kühlschranktür auf. Leer bis auf eine vergessene Arzneiflasche, auf dem Etikett ein ihm unbekannter Frauenname. Annie Soundso. Wahrscheinlich eine von Gazons Frauen. Justin tastete sich den Flur entlang zum Esszimmer und schaltete das Licht an.
    Das scheußliche Esszimmer ihres Vaters im Tudorstil. Zu beiden Seiten des Tisches je sechs mit Schnörkeln

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