Der Experte: Thriller (German Edition)
Dalton, ohne sich umzudrehen.
Sie senkte die Waffe.
In Geigers Schläfen begann ein konstantes Pochen, in seinen Ohren trommelte es.
Dalton grinste. »Was sagen Sie dazu, Geiger? Haben wir einen Ansturm – von irgendetwas? «
Victor trat in den Raum. Die Beretta des Toten zeigte auf Geiger. Die Welt war ein Schachbrett mit vier Figuren, und er war der einzige Bauer.
»Bonjour« , sagte Victor.
Geiger rutschte auf dem Stuhl herum, sodass sein Körper zu Zanni wies. »Deine Idee«, sagte er. »Matheson zum Köder zu machen …«
»Einen Augenblick bitte«, warf Dalton ein. »Ihr Plan, ja – aber ich bin es, der ihr im Anschluss an die Nachbesprechung sagte, dass ich, falls sie jemals Informationen über Ihren Aufenthalt erlangte, viel dafür zahlen würde. Ich habe die Saat ausgelegt – also bitte, Ehre, wem Ehre gebührt.«
Geiger nickte. »Niemand bei Deep Red hat das Video gesehen …«
Zanni nickte. »Niemand.«
»Und niemand weiß, was du hier tust.«
»Niemand. Jetzt hol das Messer raus, und leg es auf den Tisch.«
Victor schwenkte die Waffe um ein paar Grad. Geiger griff in sein Hemd, löste das Messer und legte es mitsamt Klebeband leise auf den Tisch.
»Noch andere, Geiger?«, fragte Victor.
»Nein.«
»Soll ich ihn filzen, Zanni?«
»Nein.«
»Sind Sie sich sicher?«
»Ja, Victor. Ich bin mir sicher.«
Zannis und Geigers Blick hatten sich nicht voneinander gelöst, seit sie eingetroffen war; ein ausdrucksloses Stieren. Der weiseste Seher hätte nicht zu erraten vermocht, was sie dachten.
Dalton rückte vom Tisch ab und stand auf. »Er kann sie jetzt sehen – nur kurz –, dann bringen Sie ihn mir.«
Zanni drehte sich um und ging hinaus. Die aufgerauchte Zigarette wärmte Geigers Finger. Er warf sie in die Kaffeeschale. Victor trat an die Küchentür.
»Bitte. Sie zuerst.«
Geiger stand auf und verließ den Raum. Victor folgte ihm mit drei Schritten Abstand. Sie erreichten die Diele.
»Nach rechts«, sagte Victor.
Geiger folgte dem Korridor, an dessen Ende Zanni wartete. Geiger wusste, dass er die heiße Aufwallung in seinem Blut unterdrücken musste, so wie man das Gift aus einem Schlangenbiss saugt, ehe es sich ausbreiten kann. Er brauchte pure Konzentration. Hätte er sie gestern Morgen nicht angerufen und wäre auf eigene Faust hierhergekommen, wäre ihr Doppelspiel ebenfalls aufgeflogen – daher konnte nichts, was in der Zwischenzeit geschehen war, wichtig sein. Falls es ihn in irgendeiner Weise verändert hatte, so war es eben so. Sonst hatte sich nichts geändert. Er durfte sich nicht gestatten, es anders zu sehen. Nicht jetzt.
Zanni deutete mit ihrer Pistole auf eine Tür. »Hier«, sagte sie.
Geiger blieb stehen und wandte sich Victor zu, der zwei, zweieinhalb Meter weit entfernt stehen blieb, die Waffe erhoben.
»Sie sind angekettet«, sagte Victor. »Gehen Sie nicht mehr als ein paar Schritte in den Raum hinein. Keinen Körperkontakt. Verstanden?«
Während Victor seine Erklärung abgab, hatte Geiger die Entfernung zwischen ihnen und die Breite des Gangs geschätzt, die Haltungen seiner Gegenspieler und die Positionen ihrer Waffen bewertet und entschieden, dass ein Angriff fast mit Sicherheit erfolglos bleiben und sogar wahrscheinlich schlimmere Folgen nach sich ziehen würde.
»Ich habe verstanden, Victor«, sagte er.
Harry lag flach auf dem Rücken, starrte auf die alten Dachbalken und versuchte die wahre Antwort auf die Frage zu finden, ob er jemanden töten könnte oder nicht. Gewiss, die Wut war vorhanden, eine Hauptader, glutrot leuchtend – doch Wut war nur der Feuerstein. Welches Element musste er treffen, um den Vorgang auszulösen, und hatte er es in sich?
Gleichzeitig plagte ihn das sengende Bedürfnis, einfach nur in niemals endenden Schlaf zu sinken. Die Vorstellung völliger Gedankenlosigkeit hatte etwas Verlockendes an sich. Und der Teil seiner Persönlichkeit, der sich danach sehnte, war nicht wählerisch. Er verlangte nur das Bewusstsein, dass der letzte Gedanke, den er haben würde, in der Tat der letzte war. Nur die Information, dass Harry die Benutzung seines Gehirns einstellte. Eine Art Abschiedsgruß an sich selbst vor dem Bye-bye zu allem anderen.
Er sah Matheson an, der mit untergeschlagenen Beinen aufrecht saß und noch immer mit einem blutgetränkten Klumpen Toilettenpapier Druck auf den Schnitt an seinem Fußgelenk ausübte, den er sich selbst beigebracht hatte.
»Hat es aufgehört?«, fragte Harry.
»Gerade eben.«
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