Der Experte: Thriller (German Edition)
sprechen, und Geiger spürte, wie sich in seinem Schädel die Himmel öffneten …
»Tulette …«, drang es schließlich über Deweys Lippen.
Tulette. Das konnte vieles sein. Eine Wildblume, der Name einer Geliebten …
»Dalton ist in Tulette. Eine schmale Straße.«
… ein puderzuckerbestäubtes Gebäck, ein lebhafter Tanz …
»Den Berg rauf, unter der Kuppe.«
… ein melancholischer Nachruf …
»Ein Bauernhaus … sonst ist da nichts …«
Geigers Bewusstsein führte das »da« mit einem niemals endenden R-Laut weiter, ein Schnurren, als sitze der Kater auf seiner Schulter – Rrrrrrrrrrrr –, und dann brach der Blitzschlag los in seinem Kopf und steckte sein Gehirn in Brand – ein Sturm ohne Aussicht auf Regen. Er riss die Hände hoch und presste sie an den Schädel, als könnte ihr Druck ihn am Auseinanderfliegen hindern. Das Messer schlitterte klappernd über den Boden, Geigers plötzliches Aufheulen klang wie der Donner eines heranziehenden Gewitters, und Deweys Kopf zuckte hoch. Trotz seines Schmerzensnebels durchfuhr ihn der Laut und stieß ihn auf das, was sich vor seinen Augen abspielte.
»Was … zum … Teufel …«
Das Brennen in Geigers Schädel war mehr Lava als Feuer. Es sickerte in dünnen, geschmolzenen Rinnsalen nach unten. Seine Knie gaben nach, und er prallte mit ihnen auf den Boden, stöhnend, den Kopf in den Händen. Hier gab es nicht die Zuflucht des schwarzen Wandschranks, keine Musik, an der er zehren konnte, bis er die Kraft gesammelt hatte, die er brauchte, um die Bestie zu erschlagen. Hier gab es nur kaltes Licht und einen einzigen Zuhörer. Aus der Taille klappte er nach vorn, Unterarme und Stirn schlugen auf den Betonboden – ein trauriger Büßer ohne Priester.
Dewey hielt es für möglich, dass es Epilepsie war. Während seiner Grundausbildung hatte er erlebt, wie jemand einen Anfall bekam. Aber Geiger warf sich nicht herum wie ein am Haken hängender Fisch auf dem Boden eines Boots. Daher konnte er auch nicht abschätzen, wie viel Zeit ihm blieb.
Der unverwechselbare Geruch von versengtem Körperhaar zog seinen Blick auf den Heizlüfter links von ihm. Das grell leuchtende Innenleben schien in der wabernden, glühenden Luft ringsum zu schweben. Er versuchte, ein Gefühl für das Zentrum seines Körpers zu bekommen, dann warf er sich mit ruckartigen Bewegungen nach links, und der Stuhl verschob sich jedes Mal um ein paar Millimeter.
Der Hammer traf auf den Amboss. Bamm! Bamm! Geigers Ohren waren Verstärker und verwandelten jeden Laut in einen Schlag und eine explodierende Nova. Bamm! Der Schmerz war gewichtlos, bodenlos, grenzenlos. Er war ein Nachthimmel – sternenlos und unermesslich …
Dewey ruckte ein letztes Mal, und die Stuhlseite berührte den glühenden Heizlüfter. Hinter seinen Zähnen schwoll das Knurren eines wütenden Hundes an, während er zusah, wie sich auf dem Klebeband, das seinen linken Arm und sein linkes Bein fesselte, kleine Blasen bildeten. Es wurde weich und verschmolz mit seiner Haut. Er zog den Arm in Richtung Brust – und das Band dehnte sich, die Verstärkungsfasern gaben nach und rissen; mit einem letzten Aufheulen befreite er den Arm. Er griff nach unten, packte seinen Fußknöchel und zog ihn nach oben – und das erhitzte Klebeband zerriss ebenfalls. Sein linker Arm und sein linkes Bein waren frei.
»Jawoll!«
Er wandte sich seinem rechten Handgelenk zu, zerrte an dem Band, krallte seine Finger in die dicken Lagen – ohne Erfolg. »Jetzt komm schon, du Scheißding …«
Geiger hob langsam den Kopf und sah, was Dewey tat. Jedes Atom in der Luft funkelte und wirbelte, ein metallischer Blizzard. Dann verschob sich sein Blick … und fand das Messer auf dem Boden zwischen ihnen. Geiger richtete sich auf, abgestützt durch Hände und Knie, und begann, auf die Waffe zuzukriechen. Der Boden schwankte wie ein Floß auf einem Fluss.
Dewey warf einen Blick auf Geiger und begriff, wohin der Inquisitor wollte: zu dem glänzenden Messer auf dem Boden. Dewey beugte den freien Arm und begann, mit dem Ellbogen gegen die Innenseite der Armlehne zu hämmern. Jeden Hieb unterstrich er mit einem knurrenden Schrei. Beim fünften Treffer brach das Holz und knickte ab. Er stellte den freien Fuß auf den Boden und drückte, so fest er konnte. Der Stuhl kippte nach hinten über und krachte auf den Boden. Er hob den Fuß und trat auf die Sitzfläche ein. Sie begann sich zu lösen.
Geiger brauchte die Schwärze der Dunkelheit
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