Der Experte: Thriller (German Edition)
aufwachst, wird dir ein Teil deines Körpers fehlen.«
Wieder traf es Dewey wie ein plötzlicher Windstoß – eiskalt, in elastische Wärme gehüllt. Geigers Stimme. Wie eine perfekt programmierte Maschine – keine Schwankungen, ohne Untertöne, seelenlos. Und zu erleben, wie sie aus dem Mund eines Menschen drang, machte die Erfahrung nur noch grauenvoller.
»Jetzt geht es auf Zeit, Dewey. Wir gehen eines nach dem anderen durch. Erstens: Für wen arbeitest du – Soames oder Dalton?«
»Soames.«
An Geiger war kein Zeichen von Leben zu erkennen. Kein Blinzeln, kein Atmen. Für Dewey sah er aus wie eine lebensgroße Pappfigur.
»Ich arbeite für Soames. Ich bin auf deiner Seite, du Arschloch.«
Dewey ging seine Antwort im Kopf noch einmal durch. Wie er sie ausgesprochen hatte, erschien ihm recht gekonnt. Geiger kam näher und drehte die Knöpfe an den beiden Heizlüftern hoch. Das weiche Gold der Heizelemente intensivierte sich und wurde zu einem sonnengrellen Gelb mit einer Andeutung von Orange. Dewey spürte, wie die Hitze ihn in einer weichen Welle erreichte, und sein Körper entwickelte – besonders an den Außenseiten der Unterarme und Waden – das prickelnde Gefühl, das einen Sonnenbrand ankündigt.
»Was soll die Scheiße, Mann? Ich hab die Wahrheit gesagt.«
»Auch das ist eine Lüge.«
»Was macht dich denn da so scheißsicher?«
»Hast du vorhin bemerkt, dass die Musik – von Frere Jacques – bei einigen Noten knapp neben dem Ton lag?« Geiger straffte den Rücken. »So klingt in meinen Ohren eine Lüge.«
Der Unterarm klappte vor, und Geiger rammte Dewey die Seite seiner Faust in den oberen Brustkorb, den zweiten Interkostalnerv als Ziel, ein Hieb, der zu den üblichen Manövern des Inquisitors gehörte. Dewey verkrampfte sich. Der Nerventreffer brachte seine Atmungsaktivität zu einem abrupten Halt. Die Lunge ging in Wartestellung und horchte auf ein Zeichen, ihre Aktivität wieder aufzunehmen, doch dazu litt Dewey zu starke Schmerzen. Er wäre zusammengeklappt, aber das Band um seine Brust hielt ihn und ließ es nicht zu. Dennoch waren seine Zuckungen so heftig, dass er den Stuhl um mehrere Zentimeter verrückte.
Das abgehackte, atemlose Ächzen, das aus ihm herausbrach, erinnerte an das Feuer einer Kleinkaliberpistole. Doch der einzige Gedanke, den er beginnen und beenden konnte – Ich kann nicht atmen –, verschwand, als Geiger die Spitze des Messers unter seiner Nase ansetzte und sie im Oberlippengrübchen ruhen ließ. Dewey erstarrte, und die plötzliche Verschiebung der Aufmerksamkeit wirkte auf seine Lunge wie das Signal zum Neustart. Er versuchte, sich nicht zu bewegen, während er das Atmen wieder aufnahm, und noch härter versuchte er in den schiefergrauen Augen einen Hinweis zu finden auf das, wozu Geiger wahrhaft imstande war. Das freiliegende Haar auf seinen Oberarmen und Oberschenkeln fühlte sich an, als würde es jeden Moment in Flammen aufgehen.
»Soll ich dir die erste Frage noch einmal stellen, oder weitermachen und später darauf zurückkommen?«
Dewey schielte auf die Klinge. »Ganz ruhig, Geiger. Ruuu-hieeeeg.«
Geigers Griff um das Messer wurde fester, und ein kleiner Blutstropfen quoll unter Deweys Nase hervor.
»Wenn du für Soames arbeitest, Dewey, was plant sie für den Fall, dass sie und Victor Dalton finden?«
»Ich begreife nicht, was du meinst.«
»Wenn Soames und du auf Dalton treffen, wer kommt lebend davon?«
Dewey hatte gesehen, wie Männer geistig überlastet wurden, und nie verstanden, wie sich das anfühlte – bis jetzt: wie ein Kartenhaus … Eine Lage der Angst wird auf die andere geschichtet, bis man unter dem Gewicht zusammenbricht. Die verrückte Beschallung … die Dunkelheit … die Schmerzen …
Geigers Fingerknöchel waren weiß geworden. Ein dünner, karmesinroter Wurm erwachte, sich ringelnd, unter der Klinge zum Leben.
»Dewey, wenn Soames zu Dalton kommt, was wird aus Harry und Matheson?«
… die Wärme … die Unfähigkeit, sich zu bewegen … der Blick aus dem Augenwinkel auf etwas Kaltes, Endgültiges, das auf seine Stunde wartete. Dewey schmeckte Blut. Es malte rot gefärbte Bilder in seinen Kopf, die er nicht sehen wollte.
»Hör mir sehr gut zu, Dewey. Du lebst noch nicht sehr lange, und du hast noch nicht viele wichtige Entscheidungen gefällt. Hier geht es um die Wahrheit. Die Wahrheit ist es, worauf es am Ende immer hinausläuft. Wenn du mir die Wahrheit sagst, dann ermöglichst du dir für später
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