Der Experte: Thriller (German Edition)
hieß das, dass es ihnen gut ging. Seine Mutter war noch nicht zu Hause, doch er eilte zur Zimmertür und schloss sie, dann hetzte er zu dem iPad auf seinem Schreibtisch. Der Anrufer am anderen Ende nannte sich »Gast«, doch Ezra war zu aufgeregt, als dass er innegehalten und überlegt hätte, wieso.
Ezra klickte auf »Annehmen«, und der Bildschirm füllte sich mit grobkörnigem Grau. Das Erste, was ihm in den Sinn kam, war Beton – vielleicht ein Gehsteig –, dann bemerkte er etwas in der rechten oberen Ecke, eine Art Windrad aus Metall. Er beugte sich dichter vor. Er sah einen kleinen Sprinklerkopf von einem Löschsystem. Er blickte auf eine Decke.
»Dad? Harry? Hallo?«
Etwas glitt vom unteren Displayrand her ins Bild. Ein Gesicht.
»Ezra …«
Kreidebleich, schmerzverzerrt. Ein Gespenst im Nebel. Es setzte eine Kettenreaktion in Gang – Neutronen rasten mit unverstellbarer Geschwindigkeit durchs All, legten Tausende von Kilometern während eines Herzschlags zurück, als steckte man einen Finger in die Steckdose –, eine emotionale Kernspaltung, die Ezras Augen aufblitzen und seinen Körper hochfahren ließ.
»O Gott«, sagte der Junge, »Geiger …«
Zu viele Gefühle und zu viele Fragen blockierten Ezras Kopf und Brust. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Er schien nicht einmal richtig einatmen zu können. Ihm war, als litte er unter Dekompressionsproblemen.
»Ezra, ich bin in einer … üblen Lage. Ich brauche deine Hilfe.«
»Was ist mit dir passiert?«
»Ezra …«
»Wo bist du?«
»Du musst zuhören, Ezra. Ich … weiß nicht, wie lange ich sprechen kann.«
»Okay. Es tut mir leid. Okay.«
»Ich bin in Paris. Ich bin verletzt. Ich habe … kein Handy. Schreib folgenden Namen auf.«
Ezra schnappte sich einen Stift und ein Notizbuch. »Okay. Los.«
»Christine Reynaud. R-E-Y-N-A-U-D. Wiederhol ihn.«
»Christine Reynaud. R-E-Y-N-A-U-D.«
»Sie ist Harrys Frau.«
»Harrys Frau? «
»Exfrau. Ich habe sie heute kennengelernt … Sie … lebt hier.« Geiger kniff die Augen zusammen und schlug sie wieder auf. »Du musst sie anrufen. Finde ihre Nummer heraus …« Sein Gesicht rutschte plötzlich vom Bildschirm weg.
»Geiger?« Die Angst schnürte Ezra die Kehle zu. Er schluckte, aber er bekam die Spucke nicht hinunter. »Geiger?«
»Ich … bin hier«, sagte die Stimme. »Finde die Nummer heraus.«
Ezra riss den Schreibtischsessel zu sich, setzte sich und drückte auf die Computertastatur, damit der Computer ansprang. Der Bildschirm wurde hell, und er legte die Finger auf die Tasten. Es war gut, etwas zu tun zu haben – sich auf etwas konzentrieren zu können. Es half, die Angst auf Armeslänge von sich zu halten. Google zeigte ihm Dutzende von Möglichkeiten für »Paris Frankreich Telefonbuch« auf, und er klickte auf das oberste Angebot und gab den Namen der Frau ein.
»Hab sie!« Er hörte seine laute Stimme und sah mit gequältem Gesicht zur Tür. »Ich habe sie«, sagte er leise.
Geiger schob sich wieder in Sicht. »Ruf sie an. Sag ihr, dass ich ihre Hilfe brauche. Bitte sie … zur Rue Questel Nummer drei eins fünf zu kommen. Ein Geschäft mit vernagelten Fenstern. Hintertür. Ruf sie an …«
Ezra starrte Geiger in die Augen. »Okay. Ich mache es – sofort. Sag mir nur … Hast du sie gefunden?«
»Ich weiß … wo sie sind, Ezra. Ruf an.«
Ezra nickte unaufhörlich, als versuchte ein Mechanismus, ihn von seinen Fähigkeiten zu überzeugen. Er nahm sein Handy.
»Ich schaffe das. Das schaffe ich auf jeden Fall.« Geiger war wieder vom iPad-Display verschwunden, Ezra sprach mit sich selbst. Er wählte die Nummer und hörte es klingeln. Noch einmal …
»Komm schon … nimm ab.«
… und wieder …
»Komm schooooon …«
… und das Klingeln hörte auf.
»Allô?«
Er zuckte zusammen, als er die Stimme hörte. »Hallo? Ist da – Christine Reynaud?«
»Ja. Wer ist da?«
»Also … ich … ich heiße Ezra. Ich bin fast dreizehn, und ich rufe von New York City an. Und ich bin ein Freund von Harry … und Geiger. Ich weiß, dass es total verrückt klingen wird, was ich jetzt sage, aber es ist wirklich wichtig.«
»Sprich weiter, Ezra.«
Die glatte, kühle Stimme ermutigte ihn.
»Geiger ist im Moment mit mir auf iChat … Sie wissen doch, was iChat ist, oder?«
»Ja.«
»Gut, gut. Okay … Geiger sagt, er hat Sie heute kennengelernt …«
»Ja, das ist richtig.«
»Wissen Sie, weshalb er dort drüben ist, Ms. Reynaud?«
»Ja,
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