Der Facebook-Killer
schillerndes Geschmeideband zu ihrer Rechten. Sie klappte die Sonnenblende hoch und schnappte sich erneut die Papphefter. Zeit zu arbeiten.
Am Himmel über dem Quai kreiste ein Möwenschwarm. Die Seevögel gehörten mittlerweile zum Bild jeder an einem Fluss gelegenen Großstadt, waren immer auf der Jagd nach schmackhaften Brosamen vom Tisch der Industriegesellschaft. Ab und an stießen sie herab, pickten etwas aus dem Uferschlick. Eine Katze schoss aus einem Hinterhof kommend quer über die Straße Richtung Ufer und zwang Mafro zu einem außerplanmäßigen, heftigen Bremsmanöver. All das sah und hörte die Wölfin nicht, denn sie war inzwischen wieder tief im Aktenstudium versunken.
Mafro lenkte den Wagen über die Pont de l’Alma wieder ans Nordufer der Seine hinüber. Kurz nach dem Hotel Fouquet’s Barrière bog er links auf die Avenue des Champs Elysées ab. Es hatte wieder zu nieseln begonnen, aber diesmal war es nur Regen. Bald hatten sie den Kreisverkehr um den Arc de Triomphe und die Porte Maillot hinter sich gelassen und waren nach Süden abgebogen. Sie fuhren jetzt auf dem von vielen Bürgern der Stadt ungeliebten Boulevard Périphérique, der den Bois de Boulogne zerschnitt, und kamen zügig voran.
„Das ist ja das 16. Arrondissement“, sagte Geza überrascht, als sie nach einer guten Viertelstunde Fahrt zur Abwechslung den Blick von den Kopien hob und nach draußen schaute. Mafro warf ihr einen fragenden Seitenblick zu.
„Hier bin ich auch untergebracht, bei einer Freundin.“ Sie selbst hatte sich ihm gegenüber in allen persönlichen Dingen sehr zugeknöpft gezeigt.
„Stimmt“, sagte er. „Gut erkannt. Der Bois de Boulogne ist ein Waldpark hier im Westen der Stadt und im Übrigen einer der größten Stadtparks der Welt. Er ist mehr als doppelt so groß wie der Central Park in New York.“
„Waldpark?“, fragte Geza zurück. „Dann ist er künstlich angelegt? So eine riesige Waldfläche? Das wusste ich ja gar nicht.“
„Na ja – ja und nein“, sagte Mafro. „Westlich von Paris befand sich seit jeher eine große Waldfläche, ein Eichenwald, der ursprünglich Bois de Rouvray hieß. Nach der französischen Revolution wurde er fast vollständig zerstört, weil die verarmte Stadtbevölkerung hier illegalerweise ihr Brennholz geschlagen hat. Zudem haben 1814 etwa 40.000 russische und britische Soldaten, vor dem Marsch nach Paris, dort ihre Zelte aufgeschlagen. 1848 ist der Wald verstaatlicht worden und ein paar Jahre später dann in den Besitz der Stadt Paris übergegangen. Zwischen den Weltkriegen wurde der Bois de Boulogne, wie man ihn seit seiner Wiederaufforstung nennt, offiziell in die Stadt Paris eingegliedert. Der Park hat übrigens einen schlechten Ruf, und zwar auch schon immer. Fahrendes Volk, entflohene Sträflinge, gesuchte Verbrecher und andere subversive Elemente versteckten und verstecken sich von jeher dort. Außerdem findet ein Teil der Pariser Prostitution im Bois de Boulogne statt, insbesondere ein Teil des Straßenstrichs.“
„Was heißt das konkret?“, erkundigte sich die Wölfin.
„Hier passiert diskret im Schutz der Bäume, was man in unserer ach so sauberen Stadt nicht sehen will“, kommentierte Mafro trocken. „Drogenstrich, Schwulenstrich, Kinderstrich. Oh, und außerdem findet man hier den einzigen stadtnahen Campingplatz, direkt am Ufer der Seine.“
Der Wind hatte aufgefrischt und war kühl geworden, er rauschte in den Bäumen des Waldes, wohin Mafro den Renault gelenkt hatte, und begann, die vom Schneeregen der letzten Tage übriggebliebenen Pfützen auszutrocknen. Es roch nach moderndem Laub und nasser Erde. Irgendwo krächzte eine Krähe.
Mafro entdeckte einen kleinen Waldweg, den Geza glatt übersehen hätte, und bog holpernd von der schlammigen Straße durch den Wald links ab. Nach etwa vierhundert Metern versperrte gelbes Flatterband den Weg, der zu beiden Seiten von einem Gendarmen flankiert war. Mafro drückte den Fensterheber und öffnete das Fahrerfenster ein Stück. Der kleinere der beiden, ein rundlicher junger Mann, kam dem sich im Schritttempo nähernden Renault ein Stückchen entgegen und beugte sich zum Fenster an der Fahrerseite hinunter. „Tut mir leid, Sie können hier nicht weiter, Monsieur.“
„Wir sind Kollegen“, entgegnete Mafro.
„Können Sie sich ausweisen?“, fragte der junge Uniformierte.
Mafro zog seine Brieftasche hervor, klappte sie so auf, dass der junge Mann seinen Dienstausweis sehen konnte und hielt sie
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