Der Facebook-Killer
ihm unter die Nase. „Commissaire Maxime Fronzac“, stellte er sich vor. „Das hier ist die aus Deutschland hinzugezogene Spezialistin, Docteur Geza Wolf.“
Der junge Gendarm musterte erst ihn, dann Geza. „Nehmen Sie bitte die Brille ab, damit ich den Bildvergleich machen kann, Commissaire“, sagte er. Dann setzte er hinzu: „Tut mir leid, Vorschrift ist Vorschrift.“
Mafro schluckte eine scharfe Erwiderung und tat, wie ihm geheißen. Übertrieben genau verglich der junge Mann das, was er sah, mit dem Passbild auf Mafros Dienstausweis. Geza, die ihre Sonnenbrille längst abgenommen hatte, bedachte ihn mit einen Blick, der überdeutlich sagte: „Wage bloß nicht, Bürschchen, mich auch noch zu behelligen.“ Auf ihrer Stirn hatte sich eine steile Falte gebildet.
„Genug gesehen?“, fragte Mafro. Unverzüglich setzte er seine Sonnenbrillen wieder auf, was hier im Halbschatten des Waldes streng genommen gar nicht nötig gewesen wäre. Geza grinste in sich hinein. Diese Reaktion gefiel ihr.
Jetzt mischte sich der andere Mann ein; rein optisch hätte er locker der Vater ihres peniblen jungen Kontrolleurs sein können. „Nun lass sie schon durch, Yves. Sie waren doch angekündigt.“ Er klang gelangweilt. Der junge Mann nickte und hielt das Flatterband hoch. Mafro steuerte hindurch.
„Was war das denn?“, fragte Geza, kaum dass sie außer Hörweite waren.
„Ach, nur die übliche Rivalität zwischen der Gendarmerie und der Police Judiciaire“, kommentierte Mafro leichthin. Sie folgten dem zunehmend unwegsamer werdenden Pfad ein Stück, dann sahen sie mehrere Personen, die um einen Van der Spurensicherung unter einer alten, knorrigen Eiche versammelt waren. Mafro hielt an. Ein weiterer Gendarm, älter und im Gegensatz zu den beiden am Weg stationierten mit freundlichem Gesichtsausdruck, trat zu ihnen, als sie ausstiegen.
„Clément“, begrüßte ihn Mafro sichtlich erfreut und schüttelte ihm die Hand.
„Commissaire Fronzac“, entgegnete der Uniformierte ebenso herzlich. „Lange nicht gesehen. Madame …“ Er nickte Geza zu.
„Stimmt“, nickte Mafro, ohne auf die unausgesprochene Frage einzugehen. „Was haben wir?“
„Frauenleiche, stark verwest.“
Mafro verzog gequält das Gesicht. „Todesursache?“
Der Gendarm, den er Clément genannt hatte, ging vor Mafro und Geza her zu der Eiche hinüber. „Tod durch Erhängen, tippe ich. Aber fragen Sie die Spurensicherer.“ Er trat einen Schritt beiseite und ließ den beiden den Vortritt. Sie mussten noch ein kleines Stück Wegs gehen, dann konnten sie den Tatort in seiner gesamten Grausigkeit in Augenschein nehmen. Der Waldweg war an dieser Stelle zu einem abschüssigen Trampelpfad geworden. Clément hielt sich dicht hinter ihnen. Geza spürte die Blicke der beiden jungen Uniformierten im Rücken. Stießen sie sich vielleicht an ihrem schwarzen Leder-und-Jeans-Outfit?
„Wird’s gehen?“, fragte Mafro.
„Das ist nicht mein erster Tatort“, versetzte Geza. Trotzdem hatte sie das Gefühl, als starrten alle Anwesenden sie an. Sie war die einzige Frau hier. Wieder mal. Halt, nein, das stimmte nicht ganz – die einzige lebende Frau. Was da an einem handelsüblichen Tau von einem knorrigen Ast baumelte, waren die kläglichen Überreste eines ebenfalls weiblichen Wesens.
Außer dem Renault, mit dem Mafro und sie gekommen waren, und dem Van der Spurensicherung parkten in nächster Nähe zwei Streifen- und ein Rettungswagen; zumindest letzterer war eindeutig der Form halber gerufen worden, weil es irgendeine Vorschrift so vorsah, denn dass es hier nichts mehr zu retten gab, war sicher auch den Gendarmen auf den ersten Blick klar gewesen. Hinter dem Rettungswagen stand eine Bahre, die darauf wartete, dass jemand die Leiche vom Baum abnahm.
Mafro war ein paar Schritte zurückgeblieben und ließ seinen Schlüsselbund in der Jackentasche verschwinden, während er versuchte, sich aus der Distanz einen Gesamtüberblick zu verschaffen. Clément hatte sich ein Stück abseits zu zwei jungen Männern in Outdoorklamotten gesellt, die sehr blass um die Nase waren, und redete augenscheinlich beruhigend auf sie ein. Zwei Tatortfotografen der Spurensicherung erhellten den Waldschatten schlaglichtartig mit ihren Blitzgeräten und hielten die Szenerie aus allen nur denkbaren Blickwinkeln digital für die Nachwelt fest. Ein weiterer Mitarbeiter der Spurensicherung, den Mafro kannte, ein komplett kahlköpfiger Schlacks namens Raphaël, streifte sich drüben
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