Der Facebook-Killer
jeden Tag mehrere Stunden mit Manuel Fronzac in dessen „Home Office“ zugebracht. Sie mochte den Mann und hatte eher versucht, ihn zu therapieren, als der DSCS bei den Fällen Weill und Brousse zu helfen. Vorsichtige Gespräche, behutsames Herantasten an die riesigen, mehrfachen Schmerzknoten in seinem Inneren. Beim Abendessen, bei Spaziergängen, bei Bistrobesuchen.
Insgeheim war sie davon überzeugt, dass es genau das war, was der Commandant de Police von ihr erwartete, zumal sie sehr sicher war, dass die Kollegin Eude sich rein kriminalpsychologisch nicht vor ihr zu verstecken brauchte.
An diesem Dienstagmorgen, direkt nach ihrem Krankenbesuch bei Mafro, wollte sie ihren Schreibtisch zum ersten Mal benutzen. Das Jagdfieber hatte sie gepackt. Als sie im Sturmschritt den Raum betrat, sah René Bavarois, der gerade bei einem der Kollegen am Platz gestanden hatte, überrascht auf.
„Monsieur Bavarois“, grüßte sie erfreut. „Nach gestern Abend habe ich beschlossen, von hier aus zu arbeiten …“
„Gute Idee. Die Kollegen sind alle schon dran.“ Er wies durch die offene Tür auf sein Vorzimmer. „Madame Urain, unsere gute Seele, kennen Sie ja schon. Wenn Sie irgendetwas brauchen, wenden Sie sich an sie.“
Geza nickte und begegnete seinem kühlen, konzentrierten, aber nicht unfreundlichen Blick. Offenbar versuchte er abzuschätzen, was sie wirklich hertrieb.
Zum ersten Mal fiel Geza eine feine Narbe unter dem rechten Auge Bavarois’ auf. Ein Unfall?
Madame Urain kam herüber und stellte ihr unaufgefordert einen Kaffee hin. Wieder dachte Geza bei sich, wie hübsch die in die Jahre gekommene Sekretärin einmal gewesen sein musste.
„Khalil checkt gerade die Aussagen der Anwohner der umliegenden Häuser“, sagte Bavarois.
Der „Berber“, wie er sich selbst genannt hatte, nahm die Füße nicht vom Schreibtisch, als sie grüßte, sah aber immerhin kurz auf und tippte an einen imaginären Hut.
Bavarois legte dem Mann, an dessen Platz er stand, die Hand auf die Schulter. „Das hier ist Kristof Manet, er ist …“
„…forensischer Informatiker oder, um es einfacher auszudrücken, Computerspezialist bei den Flics“, vollendete der Schlaksige mit dem etwas zu langen Haar, den Geza ebenfalls bei der Fall-besprechung gesehen hatte, den Satz für seinen Chef. Sie nickte dem Mann, der auch dieses Mal sein iPad in Griffweite liegen hatte, grüßend zu.
„Er kann in die Schaltkreise von Rechnern hineinschauen wie Sie in die Köpfe von Menschen, Doktor Wolf“, lächelte Bavarois verhalten. „Kris war zwar nicht von Anfang an Teil der DSCS, aber ich kann mir heute nicht mehr vorstellen, wie wir früher mal ohne ihn ausgekommen sind.“
„Wir kennen uns von der Besprechung vor Weihnachten“, sagte sie und reichte Manet die Hand.
Dr. Eude betrat den Raum. Sie trug an diesem Tag eine strenge Hornbrille und wirkte konzentriert und geistesabwesend zugleich. Als sie Geza sah, neigte sie den Kopf und schürzte die Lippen.
„Ich sehe, Sie lernen gerade unser divisionseigenes Computergenie näher kennen“, sagte sie und trat ebenfalls an Manets Schreibtisch, der im Gegensatz zu allen anderen im Raum, die entweder papierüberladen oder, im Falle von Gezas, komplett leer waren, penibel aufgeräumt wirkte. Geza nickte. „Es ist mir eine Freude, Monsieur Manet.“
„Doktor Manet, um genau zu sein, Frau Dr. Wolf“, sagte er.
„Sie haben promoviert?“
„Hier an der Sorbonne, ja.“
„Ah ja … und seit wann sind sie bei der DSCS?“
„Ach, erst seit gut zwei Jahren. Davor war ich regulär bei der Police Judiciaire tätig“, entgegnete er und strich sich in einer etwas manierierten Bewegung, die ihr ebenfalls bereits auf der Besprechung aufgefallen war, die lange, dunkelbraune Stirnlocke aus den Augen.
Geza zwang sich, den Blick von ihm abzuwenden. Sie fand Manet zu gleichen Teilen interessant und irritierend. „Ah ja“, kommentierte sie, um irgend etwas zu sagen. „Sagen Sie doch Geza – Dr. Wolf klingt so förmlich … wo wir doch jetzt Kollegen sind …“
„Geza. Gerne“, antwortete er leise. „Meine Freunde – und einige meiner Kollegen – nennen mich Kris.“
„Meine Freunde und einige meiner Kollegen“, wiederholte sie im Geiste. Eine seltsame, aber sehr klare Trennung. Da sprach er schon weiter:
„So also sieht eine deutsche Psychologin aus, die die Verbeamtung hingeschmissen hat, um ihren Vergewaltiger im Alleingang zur Strecke zu bringen.“ Manet musterte sie – schon
Weitere Kostenlose Bücher