Der Facebook-Killer
gottverlassenen Straße im sozialen Brennpunkt des 18. Arrondissements blicken ließ, würde ihm der Ausweis, der schon Rabelais dazu gebracht hatte, ihm die Schranke nach La Villette hinein zu öffnen, eben erneut gute Dienste tun müssen. Er lachte freudlos in sich hinein. Mit distanziertem Interesse sah er zu Rabelais’ erleuchtetem Fenster hoch. Der Kerl war jetzt eine knappe Stunde daheim – Zeit, anzufangen.
Ein Streifenwagen, der langsam die angrenzende Rue Marcadet entlangfuhr, ließ ihn innehalten. Zufall – oder war Fronzac schneller gewesen, als er geglaubt hatte?
Aber selbst wenn: Wann würden sie endlich begreifen, dass der HERR seine schützende Hand über ihn hielt und er ihnen damit einfach überlegen war? Wann würden sie ihn angemessen zu fürchten lernen, ihn, die strafende Hand Gottes? Nun, er hatte seine erste Jüngerin, seine Zeugin mit Augen und Mund, und sein nächstes Opfer erwählt. Doch zuerst … der Wachmann. Sein Blick wanderte wieder zu dem schmalen Fenster hoch.
Das Licht war noch an. Er fuhr den Rechner hoch und warf als Erstes den IP-Scrambler an. Ein nützliches kleines Programm, das ihm ein befreundeter Hacker überlassen hatte: Es wies seinen Online-Aktivitäten alle paar Minuten eine neue Fake-IP-Adresse zu. Niemand würde das, was er online tat, zu ihm zurückverfolgen. Auf dem Gebiet war er einfach besser als seine Jäger.
Sein Blick wanderte wieder zu dem Fenster gegenüber. Es war so lächerlich einfach gewesen, den Typen zu finden, physisch, hier in seiner Bruchbude, und in den erhabenen Weiten seines Jagdreviers, im Netz. Parc Cop 1987. Also bitte … sein Finger klickte auf FREUNDSCHAFTSANFRAGE ABSENDEN.
Was war das denn? Eine Freundschaftanfrage von einem Vince Vega? Der Typ verwendete ein Bild von John Travolta aus diesem Tarantino-Film als Avatar. Witzig. Keine Ahnung, wer das sein mochte … mal schauen. Marcel Rabelais klickte auf FREUNDSCHAFTSANFRAGE ANNEHMEN.
Quasi ohne Zeitverzögerung öffnete sich seine Chat-Box. Es war dieser Vega.
VINCE VEGA
Hallo Marcel.
PARC COP 1987
Hallo … äh … Vince. Kennen wir uns?
VINCE VEGA
Aber ja.
PARC COP 1987
Ja?
VINCE VEGA
Klar. Ich kenne dich, und du solltest dich an mich erinnern.
PARC COP 1987
Wie meinst du das?
VINCE VEGA
Du hast mich vorletzte Nacht in den Park gelassen.
Marcel Rabelais’ Hand begann zu zittern. Sein erster Impuls war, den Chat zu schließen, Facebook zuzuklicken, den Laptop herunterzufahren. Aber dann starrte er doch weiter wie gebannt auf den Schirm.
VINCE VEGA
Bist du noch da Marcel?
PARC COP 1987
Ja
VINCE VEGA
Gut …
PARC COP 1987
Wie hast du mich gefunden?
VINCE VEGA
Das war leicht.
PARC COP 1987
Und was willst du?
VINCE VEGA
Weißt du, ich hatte einen Bewusstlosen im Kofferraum.
Das war nicht die Antwort auf seine Frage. Das wollte Marcel gar nicht wissen. Aber etwas an der Art dieses Fremden, mit ihm zu chatten, war geradezu hypnotisch. Er tippte als Antwort:
PARC COP 1987
Warum sagst du mir das?
VINCE VEGA
Willst du gar nicht wissen, was ich mit ihm gemacht habe?
PARC COP 1987
Nein
VINCE VEGA
Ich habe ihn an die Wand genagelt
Mit einem Druckluftnagler
Gekreuzigt habe ich ihn wie die Sünder links und rechts von Christus auf Golgatha
Dann habe ich ihn geschnitten
Ritze mit einem Skalpell
Und dann zugesehen
Genüsslich
Wie er verreckt ist
Oh all das Blut …
PARC COP 1987
Warum erzählst du mir das?
VINCE VEGA
Was hast du den Bullen erzählt?
PARC COP 1987
Nichts, gar nichts … ich weiß ja auch nichts
VINCE VEGA
Das ist gut so.
Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust Marcel
PARC COP 1987
Ja klar, was?
Marcels Hand zitterte so, dass er sich bei diesen drei einfachen Worten viermal vertippte.
VINCE VEGA
Ich möchte, dass das so bleibt. Ist das klar?
PARC COP 1987
Ja klar. Kein Wort werde ich sagen.
VINCE VEGA
Gut … gut so, mein kleiner Marcel.
Du weißt ja, was sonst passiert oder?
PARC COP 1987
Was?
VINCE VEGA
Sonst kommt die Rache des HERRN über dich. Und dann kriegst du das nächste Kreuz.
Der Mann im Auto schloss mit einem zufriedenen kleinen Grinsen die Chat-Box. Die nächsten Stunden würden für Marcel Rabelais hart werden.
Rabelais war eingepfercht in seinem Ein-Zimmer-Wohnklo, allein mit sich und seiner Angst. Er setzte die Wodka-Flasche an, trank die Hälfte des restlichen Inhaltes in einem Zug und ging eine neue holen, ohne die zu drei Vierteln geleerte aus der Hand zu geben.
Eine gute Stunde
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