Der Facebook-Killer
die ganze Zeit in Händen gehalten hatte. Den Knaller. Den Schlusspunkt.
„Genau wie Ihren Kollegen Kylian Brousse. Ich bin überzeugt, Commissaire de Police Brousse musste vor fast genau zwei Jahren sterben, weil er Ihnen allen einen Schritt voraus war – er war dem Facebook-Killer zu nahe gekommen, kannte vielleicht sogar seine Identität … und da musste er sterben.“
Erregtes Stimmengewirr erhob sich. Am Whiteboard prangte unübersehbar Kyls totes Gesicht, bleich, mit den geschlossenen Augen und der Schusswunde an der Schläfe.
Geza gab den versammelten Kolleginnen und Kollegen einen Augenblick Zeit, um ihren hohe Wellen schlagenden Emotionen Luft zu machen, dann fuhr sie fort.
„Wir sollten unser Augenmerk auf seine Signatur richten: die Bibelverse. Im übrigen bin ich immer mehr davon überzeugt, dass das –“, ihre flache Hand klatschte gegen die rechte Seite des Whiteboards, wo die Bilder der toten Frauen hingen, „möglicherweise nicht alle Opfer sind. Vielleicht gab es frühere Fälle, in denen der Bibelvers noch fehlte oder wesentlich dezenter, eventuell sogar fast verschämt, irgendwo in der Nähe des Tatorts platziert war. Vielleicht war er anfangs auch noch weniger mutig, und es gab Fälle, die als Unfall durchgerutscht sind …“
„Aber dann wollte er irgendwann wissen, ob er auch mit einem unübersehbaren Mord durchkommt“, ließ sich Dr. Eude erstmals vernehmen.
Geza warf ihr einen raschen Blick zu. „Ganz genau, Frau Kollegin – und bisher ist ihm das ja leider auch gelungen.“ Sie konnte sich nicht verkneifen hinzuzusetzen: „Weil die Ermittlungsarbeit alles andere als makellos war.“ Wieder unruhiges Gemurmel. Geza verfluchte sich innerlich für diesen unbedachten Satz. Sie hasste Kontrollverluste.
Sie spürte Bavarois’ Blick und wusste, dass seine nächsten Worte entscheidend für ihre zukünftige Position in dieser Sonderkommission sein würden.
„Bisher schon“, hörte sie seine nasale, schneidende Stimme sagen. „Aber das wird sich dank Ihrer Expertise jetzt ändern, Madame Wolf.“ Er war ihr beigesprungen. Geza bemühte sich, nicht allzu auffällig erleichtert auszuatmen. Sie sah zu ihm hinüber – zusammengekniffene Lippen, mühsam beherrschter Blick. Seine Bemerkung war strategisch gewesen, nicht aus Sympathie geboren.
„Ich habe eine Frage, Madame Wolf.“ Mafro war aufgestanden und fuhr sich durchs wuschelige Haar. Sein Chef betrachtete ihn und lächelte innerlich. Ja, so sah Mafro aus, wenn er ganz auf eine Sache konzentriert war: Er vergaß dann alles um sich herum. Sogar die Tatsache, dass seine Exfreundin verschwunden war und sich möglicherweise in der Hand des kranken Irren befand, den sie jagten. Bavarois gratulierte sich zu seiner Entscheidung, dem ersten Impuls zu folgen und Geza Wolf zu kontaktieren. Gerade noch rechtzeitig, wie es schien. Nun, solange sie auf die Beamten, die ihm wirklich am Herzen lagen, einen so positiven Einfluss hatte, war er bereit, ihr die eine oder andere schnippische Bemerkung über die Arbeit der Pariser Polizei – wohlgemerkt bevor er den Fall offiziell an sich gezogen hatte – zu verzeihen.
Fronzac räusperte sich. „Der Gesuchte hat sich ja spätestens bei Nadine Weill selbst bewiesen, dass er auch mit einem unübersehbaren Mord durchkommt“, nahm er Dr. Eudes Formulierung auf. „Warum nimmt er dann per Facebook mit Ihnen Kontakt auf und macht sich sozusagen sichtbar? Er konnte doch nicht ahnen, dass Sie selbst schon auf seine Jagdmethode gekommen waren …“
„Er sonnt sich in unserer Aufmerksamkeit“, entgegnete Geza ohne zu zögern. „Ich gebe Ihnen recht – mit dem Mord an Nadine Weill hat er sich selbst bewiesen, wie gut er ist; jetzt wollte er es von anderen hören.“
„Sie finden ihn gut?“ Der ungläubige Einwurf war von der rothaarigen Uniformierten gekommen. Geza wandte sich ihr mühsam beherrscht zu.
„Wie bitte, Mademoiselle Lorris?“
„Na ja … ich kann einfach nicht begreifen, wie Sie dieses Dreckschwein als ‚gut‘ bezeichnen können. Das ist ein kranker Psycho, dem einer abgeht, wenn er Frauen verbrennen und Männer an Fleischerhaken hängen kann“, ereiferte sich die junge Gendarmin.
„Völlig richtig.“ Mit einem knappen Nicken nahm Geza ihr den Wind aus den Segeln. „Wenn auch etwas unprofessionell ausgedrückt.“ Sie sparte sich den Hinweis, dass Michelle Tourrende nicht verbrannt, sondern erstickt war. „Ich glaube auch, dass all der Tod, all die Schmerzen ihn
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